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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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    Niemals werde ich den Tag vergessen, an dem wir das Schützenhaus besuchten. Der frühere Besitzer war gestorben, das Anwesen verwaist. Mein Vater hatte sich in den Kopf gesetzt, das Schützenhaus zu neuem Leben zu erwecken. »Ich will das«, hatte er gesagt, zu unser aller Erstaunen, denn er war nicht der Energischste. »Du?« hatte denn auch Deli gefragt, meine Tante, die die Mutterstelle bei uns einnahm, »ausgerechnet du? Walter Pommrehnke, der nie in seinem Leben einen Finger krumm gemacht hat?«
    Sie lehnte in der Tür zum Schlafzimmer, damals wohnten wir Königstraße, zwei Treppen, eine weitläufige Wohnung gegenüber dem Park, mit Zentralheizung. In das Schlafzimmer meines Vaters führte eine Doppeltür. Sie stand meistens offen, beide Flügel, mein Vater liebte es, im Bett zu liegen. Er verbrachte ganze Tage im Bett. Die Nächte sowieso, aber morgens, wenn er sich rasiert hatte, legte er sich wieder hin, rauchte eine Zigarre und las die Zeitungen. »Lokal-Anzeiger«, »Morgenpost«. Manchmal, wenn jemand sie ihm mitbrachte, die »Berliner Zeitung«.
    Deli hieß mit vollem Namen Adele. Sie hätte es gern gehabt, wenn wir sie so genannt hätten, das betonte sie zuweilen. Doch jeder nannte sie Deli. Sogar die Lieferanten nannten sie »Frau Deli«. Meine Tante war nach dem Tod meiner Mutter zu uns gekommen, mit Anneli, ihrer Tochter, einem verhärmten, blassen Mädchen. Einen Vater zu Anneli gab es nicht. In Tante Delis Schilderungen wechselte diese Bezugsperson, einmal war es ein Brasilianer, einmal Nikko der Teufelsgeiger, Primas einer ungarischen Salonkapelle, die durchgereist war, oder gar der Geheimrat – »Gott hab ihn selig« –, bei dem Tante Deli in Stellung gewesen war. In ihren Erzählungen hieß das: »Ich habe ihm das Haus geführt.« Meistens fügte sie an, daß dort allerdings solche Lümmel wie wir, mein Bruder Joachim und ich,der kleine Hansi, in die Schranken gewiesen worden wären. »Wie es hier zugeht – der Herr Geheimrat hätte das nie geduldet.«
    Der Herr Geheimrat war verblichen, unsere Mutter lag auf dem Friedhof an der Waldfriedenstraße, Joachim bastelte in seiner Dunkelkammer im Keller. Ich malte mit Wasserfarben, Flugzeuge vornehmlich, denn ein berühmter Mitbewohner dieses Mietshauses – das übrigens uns gehörte –, Günther Plüschow, war mit seiner Silbercondor über Feuerland geflogen, oder ich hatte die Erlebnisse des Roten Barons, des Jagdfliegers Manfred von Richthof en, verschlungen, damals las ich drei oder vier Bücher pro Woche und malte rote Fokker-Dreidecker. So genau weiß ich das nicht mehr, in der Erinnerung verschiebt sich manches.
    Genau weiß ich jedoch, wie Tante Deli in der Tür lehnte, im Schlafzimmer mein Vater im Bett, Zigarre in der Hand, der Rauch zog schräg zum Fenster hinüber, das einen Schlitz breit offenstand. »Du? Walter Pommrehnke, der nie in seinem Leben einen Finger krumm gemacht hat?«
    Mein Vater wedelte mit seiner Zigarre, er saß aufrecht im Bett, viele Kissen im Rücken, und unter dem Bett sah die schokoladenfarbene Schnauze unseres Hundes hervor, eines Hühnerhundes namens Zeppelin, Anneli rief ihn Zellepin. Tante Deli, wenn sie ihre Monologe hielt, verharrte in der Tür, wechselte allenfalls Stand- und Spielbein. Sie dort in der Tür, mein Vater im Bett: Das war ihre Art, Dinge zu besprechen. Wobei es nicht nötig war, daß mein Vater ein einziges Wort sagte, es genügte, wenn er brummte. Das Brummen hielt Tante Deli in Gang. »Ich möchte wissen, was das für ein Wirt ist, der seinen Hintern nicht aus der Furzmulle hochkriegt. Meinst du, die verlegen dir den Zapfhahn ans Bett? Und wenn Schützenfest ist oder eine Hochzeit oder Veranstaltungen, Vereine zum Beispiel. Da kommen hundert Gäste oder noch mehr. Der Herr Wirt liegt dann im Bett und raucht seine Zigarre. Meinst du, damit ist es zu schaffen? Ich weiß, du spekulierst drauf, daß ich eingreife. Deli für alles, wie? Deli, die schon dem Herrn Geheimratdie Wirtschaft gemacht hat, sie ist ja darauf angewiesen, eine arme Verwandte mit unehelichem Kind. Ich will dir mal was sagen, an jedem Finger könnte ich zehn haben. Zehn Männer, jawohl. Mit Freuden würden sie mich nehmen, mit Anneli.«
    Mein Vater grinste. Ich drückte mich hinten im schlecht beleuchteten Flur herum, ließ die Farben eintrocknen auf meiner Malerei, das Bild würde versaut sein, Aquarellfarben muß man schnell bearbeiten, das hatte mir unser Zeichenlehrer beigebracht.
    Tante Deli wechselte Stand- und

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