Berlin Wolfsburg (German Edition)
aufzunehmen, die Tragweite ihrer Schuld und Bösartigkeit
wahrzunehmen und sich intuitiv über ihr weiteres Vorgehen klar zu werden –
Adress- und allgemeine Daten hatte Robert ihr zur Verfügung gestellt, aber sie
notierte sich niemals etwas. Das war auch gar nicht nötig, denn ihr Gedächtnis
funktionierte ungewöhnlich gut. Auch die Droge hatte er besorgt und ihr freigestellt,
sie zu benutzen. Die Kommissarin lag verdammt richtig mit ihren Mutmaßungen.
Sarah allein entschied, wie sie dem Tod die Türen öffnete.
Es war so einfach gewesen, dass es fast schon lächerlich war. Bernd
Lange hatte zwei Tage vor seinem Tod mit Einkaufstüten bepackt das Haus
betreten, als sie hinter ihm in die Tür geschlüpft und bei den Briefkästen
stehen geblieben war. Er hatte gegrüßt und seine Post unter den Arm geklemmt,
als sein Handy klingelte. Dabei stieß er mit dem Fuß an eine seiner Tüten, die
daraufhin umkippte. Sarah half Lange beim Einpacken, und während er
telefonierte, stopfte sie eine Packung mit Keksen in seine Tüte, die er nicht
gekauft hatte. Ansdorf war noch einfacher zu seiner Ration Badesalz gekommen.
Sarah war ihm in den Supermarkt gefolgt und hatte ihm die Kekspackung schlicht
in den Einkaufswagen gelegt. Das Risiko, dass ein anderer die vergifteten Kekse
essen würde, schätzte sie als äußerst gering ein: Lange hatte allein gelebt und
war genau wie Ansdorf ein Süßschnabel gewesen – im Müll des Berliner Polizisten
hatte sie Verpackungsmaterial von unterschiedlichsten Naschwaren entdeckt –,
während Ansdorfs Frau keinen Süßkram mochte. Das hatte Sarah mitbekommen, als
er beim Einkaufen in der Schlange an der Kasse einer anderen Kundin davon
erzählte.
Vogt war ein gewissenloser Aufschneider, der aber sehr an seiner
Tochter hing. Sarah entschied, es ihm leichter zu machen. Sie gab sich als
Handwerkerin aus, die bei der Bearbeitung der Fenster dringend einen Tipp von
ihm benötigte.
Bei Huhlmann spürte sie eine ähnliche Tendenz. Die Kommissarin hatte
sich zwar vielfach schuldig gemacht, aber ein von Grund auf grausamer und verdorbener
Mensch war sie nicht. Höchstens auf dem Weg dahin. Sie in der Dunkelheit zu
überfallen und dabei keine Spuren zu hinterlassen, war nichts anderes als eine
Übung in Schnelligkeit und Lautlosigkeit. Mitten auf der Brücke war die
Polizistin plötzlich stehen geblieben und hatte ihre Verfolgerin hinter sich
entdeckt. Sarah schloss zu ihr auf, als würde sie auch joggen, grüßte und blieb
abrupt stehen, als hätte sie einen Krampf. Als Huhlmann sich hilfsbereit zu ihr
hinabbeugte, umfasste Sarah ihre Beine, hob sie hoch, trat ans Geländer und
stieß sie auf die Straße, um dann sofort auf der anderen Seite unbemerkt im
Wald zu verschwinden.
Hannelore Maurer war keine Todeskandidatin. Sie war verzweifelt.
Dass Sarah ausgerechnet bei ihrer Beschattung auffällig wurde und in diesem
Zusammenhang der Polizei ins Netz ging, war bemerkenswert. In jener Nacht hatte
sie entschieden, dass Maurer nicht sterben würde. Jedenfalls nicht mit ihrer
Hilfe.
***
Am frühen Abend kam der Anruf aus Berlin. Johanna hatte Samthof
nach der ersten Befragung von Sarah Mohn ihren Eindruck geschildert und ihn
gebeten, sich dafür einzusetzen, dass Mohns Wohnung durchsucht wurde, in der
Hoffnung, vielleicht doch ein winziges Detail zu entdecken, das zu Scheidner
führen würde.
»Ich habe mir Ihren Bericht noch einmal durch den Kopf gehen lassen,
Kommissarin Krass«, sagte Samthof, während Johanna die Tür von Marenis Büro
hinter sich schloss und am Fenster Platz nahm. »Und ich kann durchaus
verstehen, dass Sie Ihrem Verdacht nachgehen möchten, um ihn mit Indizien und
Beweisen zu untermauern, aber …«
Johanna wusste längst, was kommen würde.
»Für eine offizielle Ermittlung reicht das alles nicht aus, und das
wissen Sie selbst. Staatsanwalt Scheidner hat schon angefragt, warum er
plötzlich in den Fokus von Mordermittlungen geraten ist, und ich fürchte, wir
kommen da nicht mehr weiter.«
Auf gut Deutsch: Der Staatsanwalt hat nicht lange gezögert, mal
richtig auf die Kacke zu hauen, dachte Johanna. Er muss sich verdammt sicher
fühlen, und zudem war der Zeitpunkt günstig.
»Aber das ist noch lange nicht alles«, fuhr Samthof fort, als sie
weiterhin schwieg. »Die Ermittlungsarbeit läuft inzwischen auf Hochtouren, wie
Sie sich wohl denken können. Außerdem müssen wir die Presse über die
Terrorgruppe informieren – die Aufklärung ihrer Verbrechen, an der
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