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Berlin Wolfsburg (German Edition)

Berlin Wolfsburg (German Edition)

Titel: Berlin Wolfsburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
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Prolog
    Bis jetzt war immer alles gut gegangen. Es würde auch
diesmal gut gehen. Daran zweifelte sie keinen Augenblick. Vielleicht empfand
sie einen ebenso flüchtigen wie winzigen Moment der Überraschung, in die sich
jedoch weder Verunsicherung noch Irritation mischte, geschweige denn
Ängstlichkeit – allenfalls Neugier. Alles hatte seine ganz eigene und manchmal
verblüffend aufregende Ordnung. Seit beinahe zwanzig Jahren.
    Der Mann hatte hellblaue, bemerkenswert traurige Augen, schmale
Lippen und ein blasses Gesicht. Er sah aus wie jemand, der selten an der
frischen Luft war. Aber das konnte täuschen. Auch Großvater Manfred war,
trotzdem er als Dachdecker bei fast jedem Wetter draußen gearbeitet hatte,
immer sehr blass gewesen. Bis zu jenem Morgen, als es ihn vom Scheunendach
gefegt hatte. Vor Schreck. Er war tot gewesen, bevor der Aufprall verklungen
war. Wie schnell sich das Leben davonmacht, hatte Sarah erstaunt gedacht,
damals ein Kind von zehn Jahren. Nur einmal mit den Fingern geschnippt – und
weg. Sie hatte im Halbdunkel hinter der angelehnten Scheunentür gestanden und
auf den sonnenüberfluteten Kiesweg geblickt, um dem satten, dumpfen Geräusch
nachzufühlen, das kein Echo zurückwarf. Nur der Tod konnte so klingen. Eine
Blutlache kroch in das frisch geharkte Blumenbeet.
    Sarah würde das Geräusch nie vergessen, und auch nicht, wie das Blut
metallisch in der Sonne geschimmert hatte und ihre Großmutter kurz darauf aus
dem Haus gestürzt war, um neben ihrem Mann niederzuknien. Verwirrend lange
andächtig schweigend. Dann hatte sie plötzlich hochgeblickt, und ein
glückseliges Lächeln war über ihr Gesicht gehuscht. Sarah hatte sich kaum an
ihm sattsehen können. Alles war gut. Schließlich war sie langsam und lautlos in
das Innere der Scheune zurückgewichen und hatte die Fetzen des zerplatzten
Luftballons eingesammelt. Es war ein roter Ballon gewesen. Am Tag nach der
Beerdigung hatte ihr die Großmutter einen neuen und noch viel schöneren Ballon
gekauft, über ihr Haar gestrichen und leise »Mein kleiner Engel« geflüstert.
    Sarah tauchte aus ihren Erinnerungen wieder auf, als der Mann den
Stuhl zurückschob, auf dem bis vor wenigen Minuten eine Kommissarin gesessen
und sie zu den Geschehnissen am Schlachtensee befragt hatte – zum zweiten Mal,
seit Mark Bäumer nach der feucht-fröhlichen Betriebsfeier tot am See
aufgefunden worden war. Er hatte mit dem Gesicht nach unten im Wasser gelegen.
Mit zwei Komma acht Promille Alkohol im Blut sprach alles für ein tragisches
Unglück. Als man ihn fand, war er schon seit über zwei Stunden tot. Keiner
hatte sein versoffenes Gegröle vermisst.
    »Kaum einer Ihrer Kollegen oder Kolleginnen in der Baufirma scheint
ihn gemocht zu haben«, hob der blasse Mann an, als er sich gesetzt hatte, und
Sarah war erstaunt über seine tiefe, wohlklingende Stimme, die sie eher bei
einem kraftvollen, dunklen Typen vermutet hätte. »Das jedenfalls ist unser
Eindruck nach den ersten Befragungen, und wir sind ein bisschen stutzig
geworden – sonst wäre der Fall längst zu den Akten gelegt worden.«
    Er lächelte plötzlich, was sein Gesicht unerwartet weich machte,
aber die Augen kaum erreichte. »Entschuldigen Sie, Frau Mohn, ich habe mich
noch gar nicht vorgestellt: Ich bin der leitende Staatsanwalt Robert Scheidner
und habe zu entscheiden, wie es weitergeht.«
    Sarah nickte. »Sie überprüfen, ob jemand nachgeholfen haben könnte.«
Ihr Ton war sachlich und interessiert, sie sprach leise und sah dem
Staatsanwalt offen ins Gesicht. Sie spürte, dass ihm ihre Art gefiel.
    »So ist es. Wir haben genug zu tun und reißen uns nicht um
zusätzliche Arbeit.« Er lächelte erneut. »Aber wenn sich ein solcher Verdacht
einstellt, müssen wir das Geschehen natürlich von allen Seiten beleuchten.
Haben Sie eine Erklärung, warum der Mann so unbeliebt war? Oder kennen Sie
vielleicht sogar den Grund?«
    Sarah überlegte nicht lange. »Es hat ihm Spaß gemacht, andere zu
unterdrücken und zu quälen. Insbesondere Frauen.«
    Staatsanwalt Robert Scheidner lehnte sich zurück und musterte sie
nachdenklich. Wenn sie nicht alles täuschte, war er von ihrer Direktheit
beeindruckt. Es sah aus, als lausche er ihr nach.
    »Sie auch?«, fragte er schließlich.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Ich arbeite im Büro und hatte selten mit ihm zu tun. Außerdem werde
ich meistens übersehen – auch von Männern wie ihm. Oder gerade von Männern wie
ihm.«
    Scheidner schwieg nachdenklich.

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