Berlin Wolfsburg (German Edition)
spinnt, merkt man an, dass dieser Krimi nicht ihr erster ist.«
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Leseprobe zu Manuela Kuck,
TOD IN WOLFSBURG
:
Prolog
Es klang wie die Brandung des Atlantiks. Ein machtvolles
Rauschen. Ferien am Meer, dachte sie. Heranrollende Wellen, die sich zu einer
einzigen aufbäumten. Fast glaubte sie, die Gischt zu spüren und das Salz zu
schmecken; ihr Herz bebte vor Aufregung. Kindergeschrei, der Geruch nach
Sonnenmilch. Sie lächelte, auch wenn ihr das Lächeln schwerfiel. Warum
eigentlich? Das Tosen schluckte ihren Atem. Eine riesige Welle, dachte sie.
Auch vor denen muss man sich in Acht nehmen. Merkwürdiger Gedanke.
Als das Kreischen einsetzte, wusste sie plötzlich, dass sie sich
geirrt hatte. Sie war nicht am Meer, und sie war auch nicht glücklich und
entspannt. Irgendetwas war fürchterlich schiefgelaufen. Und ließ sich nicht
mehr ändern.
1
Magdalena Grimich wies wortlos auf den Sessel vor ihrem
Schreibtisch. Trotz der frühen Stunde, noch dazu an einem nebligen Montagmorgen
im November, war sie perfekt geschminkt und machte in ihrem dunkelgrünen Kostüm
eine bessere Figur, als man es einer hohen Beamtin des Bundeskriminalamtes
zugetraut oder von ihr erwartet hätte. Im Gegensatz zu mir, dachte Johanna
Krass, als sie näher trat und sich setzte.
»Morgen, Frau Krass. Woran arbeiten Sie eigentlich gerade?«, fragte
Grimich. Ihre Stimme klang alles andere als interessiert.
Das weißt du doch ganz genau, dachte Johanna, aber sie sparte sich
ausnahmsweise eine rotzige Bemerkung und hob nur kurz die Hände. Solange sie
nicht wusste, warum sie in Grimichs Büro zitiert worden war, empfahl es sich,
kleinere Brötchen zu backen.
»Ich unterstütze das Team, das sich um die Waffenschieber-Gruppe
kümmert«, erwiderte Johanna. »Wie es aussieht, laufen die Fäden schon seit
geraumer Zeit hier in Berlin zusammen.«
»Das war ja zu erwarten gewesen«, bemerkte Grimich und lehnte sich
zurück, während sie die Kommissarin musterte.
Johanna erwiderte den Blick gelassen und setzte eine teilnahmslose
Miene auf oder bemühte sich zumindest darum. Es galt als offenes Geheimnis,
dass sie einander nicht ausstehen konnten und sich jederzeit gern aus dem Weg
gingen, was aber kaum jemanden verwunderte. Gegensätzlichere Persönlichkeiten
als Grimich und Krass waren schwer vorstellbar; darüber hinaus lag Johanna
nicht zum ersten Mal im Clinch mit einem Vorgesetzten, und sie machte auch
keinerlei Hehl daraus, über ihre seit geraumer Zeit nur noch gelegentlichen
Einsätze beim BKA in Berlin
außerordentlich froh zu sein.
Bis vor ein paar Jahren war Johannas Karriere als
Kriminalkommissarin eine stetige Abfolge von bravourös gelösten oder chaotisch
verlaufenen Fällen gewesen. Sie war befördert und dann immer wieder ins Abseits
gestellt und mehrfach quer durch die Republik versetzt worden, bis sie
schließlich in Berlin gelandet war, und die Liste ihrer
Dienstaufsichtsbeschwerden war länger als die jedes anderen Kollegen. Sie hatte
selten alleinverantwortlich handeln dürfen, und wenn, dann war es entweder gnadenlos
in die Hose gegangen oder hatte ihr einmaliges Talent, Menschen und ihre Motive
zu erspüren, beeindruckend aufblitzen lassen. Dazwischen gab es nur wenig.
Schließlich hatte ihre Karriere gefährlich auf der Kippe gestanden, was sie
beinahe den Job gekostet hätte.
Johanna war klar, dass kaum jemand dieses »Beinahe« so sehr
bedauerte wie Magdalena Grimich – nicht zuletzt, weil Johanna dank eines
einflussreichen Freundes und Mentors aus der obersten Etage seitdem als
Sonderermittlerin des BKA s
bundesweit unterwegs war, statt hinter irgendeinem Aktenberg in Berlin zu
verschimmeln oder bei der Verkehrspolizei Strafzettel zu schreiben, wie Grimich
es durchaus für angemessen gehalten hätte. Johanna war sich bewusst, dass
Siegfried Königs damaliges Eingreifen nicht nur auf Grimich den Eindruck einer
völlig unverdienten Beförderung gemacht hatte und nach wie vor viel Raum für
Spekulationen und Mutmaßungen bot. Nur gut, dass ich noch nie hübsch und
knackig war, weder mit Anfang zwanzig noch mit Ende vierzig, dachte Johanna und
grinste verstohlen, als Magdalena Grimich sich schließlich zu ihrem Computer
umwandte und eine Datei öffnete.
»Wolfsburg«, sagte sie, während ihre Augen über den Monitor
huschten. »Die Gegend dürfte Ihnen vertraut sein.«
Johanna schlug ein Bein über das andere.
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