Filmwissen
Sandalen und Muskeln: Der Antikfilm
Eine eindeutige Definition des Genres «Antikfilm» ist schwer zu geben. Die Motive reichen von epischen Geschichtsbildern und Dramen mit zahllosen Parallelhandlungen über erotische Fantasien und Gleichnisse und das kindliche Vergnügen an den abenteuerlichen Taten antiker «Muskelprotze» wie Maciste, Ursus, Herkules bis zur filmischen Gestaltung antiker Epen wie «Odysseus». Der Zeitraum, der von dem Genre erfasst wird, reicht vom Beginn der griechischen Welt bis in die Zeit der Christianisierung des römischen Imperiums und seines Zerfalls. Bisweilen führt das Genre aber auch in gänzlich fantastische Reiche wie das sagenhafte Atlantis, und bei den «Muskelprotzfilmen» vorwiegend italienischer Provenienz hat es den Autoren gelegentlich auch gefallen, ihre Helden mit Motiven aus dem Horrorfilm ( Ercole al centro della terra / Vampire gegen Herakles; 1961, Regie: Mario Bava), dem Piratenfilm ( Sansone contro il corsaro nero / Samson gegen die Korsaren des Teufels ; 1963, Regie: Luigi Capuano) und sogar dem Western ( Sansone e il tesoro degli Inkas / Samson und der Schatz der Inkas ; 1904, Regie: Piero Pierotti) zu konfrontieren.
Schon in der Stummfilmzeit gab es in dem Land, das sozusagen auf antike Themen spezialisiert war, in Italien, beides nebeneinander, den spektakulären, an Ausstattung nicht sparenden «Monumentalfilm» wie Cabiria und den «billigen», aber nicht weniger spektakulären antiken Abenteuerfilm, etwa in einer langen, noch in die Entwicklung des Tonfilms hineinreichenden Serie von «Maciste»-Filmen (also um den Helden, der seinen ersten Auftritt in Cabiria hatte).
Zwischen 1908 und 1913 waren allein drei Versionen von Gli ultimi giorni die pompei (Regie 1908: Luigi Maggi, Regie 1913: Mario Caserini, Regie 1913: Enrico Vivaldi) nach dem Roman von Edward George Bulwer-Lytton aus dem Jahr 1835 entstanden. Für das aufwändige antike Melodram Cabiria (1914) von Giovanni Pastrone war die Figur des Maciste erfunden worden (und es war kein Geringerer als Gabriele d’Annunzio, der schillernde und «renaissancehafte» italienische Dichter und Politiker, der sich auf Wirkung verstand und große Gesten, welcher den Namen geprägt hatte), der starke und unbeugsame Sklave, der alle Ausbruchsphantasien des Publikums auf seine kräftigen Schultern nimmt.
Das naive Abenteuer im Genre ist also ein direkter «Ableger» des ambitionierten Monumentalfilms. Obwohl Benito Mussolini ein Freund der Gattung war (konnte man hier doch die von ihm vertretene bis ins alte Rom reichende «Tradition» darstellen), ist, wie Ulrich Kurowski berichtet, die Produktion von Antikfilmen in Italien während der faschistischen Herrschaft zum Erliegen gekommen. Erst Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, fermentiert durch den infantilismo , den Motor der italienischen Filmindustrie, wurde an die frühere Tradition des Genres wieder angeknüpft. Mittlerweile aber hatte Hollywood seiner Ikonographie das eine oder andere hinzugefügt, und natürlich konnte, verglichen mit den epics aus den Vereinigten Staaten, sich das Genre in Italien neu konstituieren nur als freiwillige oder unfreiwillige Parodie.
Klassiker des frühen Hollywood-Sandalenfilms
Ein Schlüsselwerk des frühen Monumentalfilms ist sicher der nach dem Roman von Lewis Wallace entstandene Film Ben Hur ( Ben Hur ; 1924/26, Regie: Fred Niblo), der mit rund sechs Millionen Dollar Produktionskosten der teuerste Film der Stummfilmzeit ist. (Er wurde zugleich zum erfolgreichsten.) Die Geschichte des Erfolgs dieses Films setzt die des Romans fort; schon 1899 war eine dramatisierte Form des 1880 erschienenen und sensationell erfolgreichen Romans herausgebracht worden.
In der von Montana Heiss und Alexander Marinoff herausgegebenen Broschüre Der Spielfilm im ZDF 1/1982 heißt es zur weiteren Produktionsgeschichte des Stoffes:
«1907 drehten Sidney Oleott und Frank Oakes Rose eine rund fünfzehnminütige Filmversion und führten damit die Gesellschaft Kalem in den ersten Urheberrechtsprozess der Filmgeschichte, der den Wallace-Erben 25 . 000 Dollar einbrachte. Abraham Erlanger, der die Bühnenrechte besaß, gründete 1921 eigens die Firma CCC (Classical Cinematograph Corporation), um für 600 . 000 Dollar die Filmrechte zu erwerben und sie für eine Million an den Produzenten Samuel Goldwyn wieder zu verkaufen. Ein Geschäft auf Gewinnbeteiligungsbasis kam schließlich zustande, in das später der Firmenzusammenschluss MGM
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