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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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der Verlegung fragten.
    Vater nahm uns kaum mehr wahr, wenn wir ins Zimmer traten. Sein Gesicht war rot vom Fieber, er hielt die Augen geschlossen und wir saßen da und hörten seinem Atmen zu. Es war das einzige Geräusch im Zimmer, und manchmal entstand eine längere Pause zwischen dem rasselndem Ausatmen und dem gluckernden Einatmen und Angelina und ich sahen uns an.
    Einmal, als Angelina Vaters feurige Hand zwischen ihre nahm, riss er die Augen auf und blickte sie an. Seine Lippen versuchten immer wieder ein Wort zu formen und Angelina legte ihr Ohr an Vaters Mund. Irgendwann nickte sie und dann wiederholte sie zu mir gewandt, was sie verstanden hatte: „Schnee, legt mir Schnee aufs Gesicht!“
    „Schnee!“, wiederholten Vaters Lippen, und jetzt verstand auch ich ihn. Er wollte etwas gegen die Hitze haben, die ihm das Fieber in den Körper trieb, er verlangte nach der Kühle des Winters, nach wohltuender Kälte, nach Labsal. Und vielleicht auch danach, dass er nicht gleich wieder schweißnass lag, kaum hatte man seinen Pyjama gewechselt.
    „Schnee“, sagte jetzt auch Angelina und Vater verzog seinen Mund zu einem gequälten Lächeln. Wir hatten ihn verstanden und ich holte einen nassen Lappen, wrang ihn aus und legte ihn Vater auf die Stirn.
    „Mehr“, bettelte er, „mehr Schnee“, als ich den Lappen wieder wegnahm, und plötzlich, von einem Augenblick auf den anderen, waren wir in den Bergen, auf den Hängen und Anhöhen, wo der Schnee liegen blieb, eisig und schwer bis Anfang Mai. Zurück in den Kindheitswintern, die in meiner Erinnerung von einer gleichförmig endlosen Schneedecke überzogen waren, zurückgeschleudert in dunkle und kalte Jahreszeiten, in denen der Nordwind heulte und die Flocken auf den Fenstersimsen aufhäufte. Und in diesen Winterbildern liegt jemand (ein Kind, war das ich?) krank in seinem Bett, in unserem Kinderzimmer unter den übereinandergestapelten Bettdecken, und Mutter schiebt mir das Thermometer in die Achselhöhle, immer weiter, bis ich schreie vor Kälte und Kitzeln. Und irgendetwas dreht sich in meinem Körper, wiederholt sich in irritierender Ruhelosigkeit, eine Schleife aus wirren Tönen und Gedanken, bestimmt waren das die Fieberträume, aus denen ich keinen Weg mehr herausfand. Mutter schickt meinen Vater mit knallenden Befehlen nach draußen in die Bitterkälte, um Rettung zu holen, bevor es zu spät ist. Den tauben Hausarzt oder eine bittere Medizin, und wir warteten lange, lange, bis er endlich zurückkam, die Arme voller Schnee.
    Am Sonntagnachmittag löste uns Klara Hubmann ab, wie vereinbart. Als sie mit leisen Schritten an Vaters Bett trat, blickte er unvermittelt auf und machte eine Bewegung mit seiner linken Hand, so als wolle er sie einladen, sich auf das Bett zu setzen. Angelina, die Vater gerade etwas Joghurt eingeflößt hatte, trat zur Seite und Klara Hubmann setzte sich auf die Bettkante. Sie nahm Vaters Gesicht in beide Hände und küsste ihn.
    Angelina sah mich an und ich sie, und dann gingen wir aus dem Zimmer. Wir blieben unten vor dem Haupteingang und rauchten eine Zigarette. Ein vorbeikommender Arzt fragte Angelina, ob er auch eine haben könne, und gemeinsam standen wir neben der Rampe, die hinauf zu Notaufnahme führte. Wir lehnten unsere Rücken an die Betonverschalung und sahen dem Rauch nach, der aus unseren Lungen stieg und sich in der heißen Augustluft rasch verzog.
    Wir müssen alle sterben, sagte der Arzt unvermittelt, während er die Glut der Kippe unter seinem Schuh erstickte. Es klang wie eine trotzige Behauptung, mehr zu sich selbst gesagt als zu uns, und ich glaube nicht, dass es als Trost gemeint war. Mit einer heftigen Drehbewegung seines Fußes zerrieb er die Zigarettenreste und den weißen Filter zwischen Sohle und Asphalt, dann hob er kurz die Hand zum Gruß und lief mit wehendem Kittel durch den Eingang, zurück auf seine Station.
    Angelina und ich rauchten noch eine weitere, bevor wir mit dem Aufzug nach oben fuhren. Klara Hubmann saß jetzt im Sessel neben Vaters Bett und las in einer Zeitschrift. Sie bewegte dabei ihre Lippen, als spreche sie jedes Wort, das sie las, mit. Vater atmete leichter als vorher, sein Atem schien ruhiger geworden und gleichmäßiger.
    Dann kam das Ende. Doktor Sedlitz, der für die Palliativabteilung verantwortliche Chefarzt, hatte es uns angekündigt.
    „Vielleicht noch ein, zwei Tage, mehr nicht“, hatte er gemeint, als Vater nicht mehr essen wollte und der Brei, den man ihm eingab, auf der

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