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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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wenn wir über Mutter sprachen, mit Hilfe einer Zugehfrau aus Kroatien gut zurecht. Angelina, die deren einzige Tochter war, fuhr drei- oder viermal im Jahr zu ihnen, um sich zu überzeugen, dass es ihnen an nichts fehlte. Meistens blieb sie das ganze Wochenende dort, ließ sich verwöhnen, wie sie es nannte, und Gregor nutzte die Tage, um mit Freunden aus der Industrie ungestört auf die Jagd zu gehen.
    „Eines Nachts“, sagte Angelina und wich nach links aus, hinter meinen Rücken, um zwei Rollstuhlfahrern im Sportdress, die mit großem Tempo auf uns zufuhren, Platz zu machen.
    „Eines Nachts …“, wiederholte ich und Angelina fiel wieder ein, was sie mir erzählen wollte.
    Sie habe schon geschlafen gehabt, sagte sie, aber dann sei sie aufgewacht, mitten in der Nacht, vielleicht aus einem Traum, an den sie sich nicht erinnern könne, jedenfalls sei sie im Bett gesessen mit einer plötzlichen Kindheitserinnerung und sei nicht mehr davon losgekommen.
    „Ich hatte doch einen Kanarienvogel“, sagte Angelina, „Papa hatte ihn mir zum Geburtstag oder vielleicht auch zu Weihnachten geschenkt. Er lebte nicht lang und als ich ihn eines Morgens tot in seinem Käfig fand, habe ich ihn in unserem Garten hinterm Haus eingegraben. In einem kleinen Sarg, der eine Schuhschachtel war, und mit Blumen und allem. Ein richtiges Begräbnis.“
    „Wer weiß, vielleicht sterben auch Vögel aus Einsamkeit“, sagte ich.
    „Als Kind hast du keine Ahnung“, sagte Angelina.
    Ich hatte das einmal gelesen, dass man Vögel bestimmter Arten immer zu zweit halten sollte, vielleicht gehörten auch Kanarienvögel dazu, und ich fragte Angelina, wie alt sie damals gewesen war.
    „Sieben, glaube ich, oder auch acht. Es war auf jeden Fall nach meiner Erstkommunion“, sagte sie.
    Und dann kam sie wieder auf die Nacht im Haus ihrer Eltern zu sprechen. Sie schilderte, wie sie in ihrem Bett gesessen sei, ihren Vater durch die Wand des Zimmers schnarchen hörte, und irgendetwas habe diese Erinnerung an den Tod des Vogels losgetreten.
    „Plötzlich kommt dieses klare Bild von dem Vogel wieder“, sagte Angelina, mehr zu sich selbst als zu mir, „diese eigenartig verkrümmten Zehen auf dem weißen Hintergrund des Schuhkartons, und mir wird bewusst, dass ich über vierzig Jahre nicht mehr daran gedacht habe.“
    „Das ist eine lange Zeit“, sagte ich.
    „Mehr als das halbe Leben“, sagte Angelina und blieb stehen. Sie zeigte auf eine Bank, grün lackiert und am Rande einer Rasenfläche, wohin sich vielleicht keine Jogger verirrten, und wir setzten uns.
    „Und dann habe ich etwas getan, was sich bestimmt vollkommen verrückt anhört“, fuhr sie fort und geriet beinahe ins Flüstern. „Ich bin mit einer Taschenlampe in den Garten und habe die Stelle gesucht, wo ich den Vogel begraben hatte. Es war unter dem großen Ahorn, wo der Gartenzaun eine Ecke bildet.“
    „Du hast ihn nicht wieder ausgegraben“, sagte ich.
    „Doch. Ich habe es wenigstens versucht. Mit einem dieser Gartengeräte, einer Pflanzkelle, oder wie das heißt. Aber da war nichts.“
    „Nichts mehr“, korrigierte ich sie.
    „Ich habe keinen einzigen Knochen mehr gefunden.“
    „Kein Wunder, nach fünfundvierzig Jahren.“
    „Das erklärt nichts“, sagte Angelina. „Denk an die Knochenfunde aus dem Mittelalter. Oder an Lucy.“
    „Gut, dann hast du eben an der falschen Stelle gegraben.“
    „Nein“, sagte Angelina und blieb dabei. Es begann zu dämmern und einzelne Läufer, die den Park durchquerten, trugen Stirnlampen. Von weitem sah es aus, als würden emsige Leuchtkäfer zwischen den Büschen herumfliegen. Man konnte meinen, dass auch sie etwas suchten, was nicht mehr zu finden war.
    Wir fuhren zurück in meine Pension und Angelina wollte in ihrem Hotelzimmer darauf warten, dass Gregor vom Empfang beim Bürgermeister zurückkehrte. Ich hatte keine Lust mehr mitzukommen. Wir trennten uns am Ausgang der U-Bahn-Station, Angelina ging ein paar Schritte, dann blieb sie stehen, drehte sich noch einmal um, umarmte mich und meinte, dass ich bestimmt recht habe. Wie hätte sie auch annehmen können, dass sie im Finstern und nach so langer Zeit genau die Stelle wiederfinden würde, an der sie ihren toten Kanari begraben hatte.
    Wir standen mitten im Strom der Menschen, die aus der Tiefe des U-Bahn-Schachtes heraufkamen, und hielten uns aneinander fest, um nicht mitgerissen zu werden. Ich spürte Angelinas Atem an meinem Ohr, sie redete schnell und erregt.
    Ja, alles

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