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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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Koffer.
    „Genau da hat er gestanden“, sagte sie mit Überzeugung. „Bis vor drei Stunden.“
    Ich versuchte mir vorzustellen, wie ein fremder Mann in Elektrikermontur in der Diele wortlos auf einen Stuhl steigt, um einen Koffer aus der obersten Stellage herauszuziehen. Und unter ihm Mama, die mit der Tüte Filterkaffee zwischen Küche und Diele hin- und herläuft und ihm einen ihrer Händel vorschlägt. Vor Jahren war die Lampe kaputtgegangen und seitdem nie repariert worden, und Mama glaubte, der Elektriker der Stadtwerke könne ihr doch ganz nebenbei und für einen Kaffee diesen Schaden beheben.
    „Er hat mich nur angegrinst“, wandte sich Mama zu mir, „du weißt schon, so von oben herab, und mich in die Küche geschickt.“
    „Und was ist dann passiert?“, fragte ich vorsichtig.
    „Das sagte ich ja schon“, antwortete Mama genervt, „er muss Vaters Flugkoffer an sich genommen haben und dann ist er auf und davon. Hat sich einfach aus dem Staub gemacht. Jetzt ist mir auch klar, warum er sich nicht einmal verabschiedet hat.“
    Angelina stand hilflos neben Mama. Sie ahnte wohl ebenso, dass Mutters Einbildungskraft nichts entgegenzusetzen war. Und auch ich versuchte gar nicht erst, meine verstockte Mutter darauf hinzuweisen, dass ich Vaters Flugkoffer mit ihrem Einverständnis schon vor knapp zwei Monaten mitgenommen hatte und er jetzt in meinem Regal verstaubte.
    „Ihr hättet Gregor mitnehmen müssen“, sagte Mama, „der arme Bub.“
    Dann tranken wir Kaffee auf der Terrasse, sahen den Wolken zu, die sich über der Stadt wieder zu lichten begannen, und Mama vergaß allmählich, dass sie sich über fehlende Koffer und Söhne zu beklagen hatte.

3
    Als Vater gestorben war, wollte ich ein paar von seinen Dingen, etwas, was mich an ihn denken ließ, ohne dass ich erschrak oder wütend wurde, mit zu mir nehmen. Der Gedanke war mir gekommen, als ich mit Alma nach der Beerdigung nach Hause fuhr, und auch sie fand es richtig. Ein paar Dinge, die Mama nicht mehr brauchte, die Vater gehört hatten, die ihm wichtig waren, die er berührt hatte. In meiner Vorstellung hätte ich sie zu Hause aufgestellt und jedes Mal, wenn ich sie sah, hätte ich kurz an Vater gedacht und damit das getan, was Kinder zu tun haben: die Erinnerung an ihre Eltern hochhalten, an ihre Unvollkommenheiten, an das muffig riechende Zuhause, aus dem man voller Illusionen geflohen war, und auch an das Gesicht, das sie gemacht hatten, als man ihnen sagte, dass der Weihnachtsabend nirgends schöner und schrecklicher gewesen sei als bei ihnen.
    Schließlich waren es zwei Gegenstände gewesen, die ich Mama abgeluchst hatte, Vaters Schweizer Armbanduhr (aufziehbar) und seinen roten Koffer. Nichts erinnerte mich deutlicher an den Ordnungstick, mit dem Vater geschlagen war, als sein roter Flugkoffer.
    Alles musste stets so sein, wie es sich in seinen Augen gehörte, nichts hatte mein Vater so sehr gehasst wie Schlamperei und Unordnung. Als Heranwachsende lachten wir darüber hinter seinem Rücken, manchmal verrückten wir heimlich die Ablagen und Federhalter auf seinem Schreibtisch und beobachteten, wie er nach der Kaffeepause ratlos auf die Katastrophe starrte. Und als er das erste Mal ein Flugzeug bestieg – die Partei hatte ihren noch lebenden Gründungsmitgliedern einen Wochenendtrip nach Sharm El-Sheikh geschenkt –, war seine größte Sorge die gewesen, den passenden Koffer mitzuhaben. Im Fernsehen hatte er gesehen, wie die Gepäckstücke beim Ausladen aus dem Flugzeug behandelt wurden, und die Vorstellung, dass seine Kleidungsstücke, Mitbringsel und Toilettensachen im Koffer durcheinandergerieten oder gar beschädigt wurden, war ihm unerträglich. Er hatte allen um sich herum die Hölle heiß gemacht, hatte mich, der ich zweihundert Kilometer entfernt wohnte, in alle Kaufhäuser meiner Stadt gejagt, aber nichts kam seinen Vorstellungen von einem guten und sicheren Koffer nahe. Beinahe hätte er alles abgesagt, bis er am Mittwoch, drei Tage vor der Abreise, dann doch noch den richtigen Koffer in einem Großkaufhaus am Stadtrand gefunden hatte. Es war ein robuster, bordeauxroter Behälter aus Hartplastik mit aufklappbaren Innenfächern, der nur einmal noch zum Einsatz gekommen war, als Mama und er zu ihrem Siebziger für eine Woche nach Mallorca geflogen waren.
    Als Vater starb, zählten wir einen Koffer für Flüge, einen für die Eisenbahn, zwei große Taschen für Autoreisen und eine kleinere für Busfahrten. Zudem eine kleine braune

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