Der Heilige Krieg
Der Heilige Krieg
N ach dem 11. September 2001 gewann der Begriff »Heiliger Krieg« wie der beklemmende Aktualität. Die Bilder von dem verheerenden Anschlag auf die New Yorker Twin Towers, der fast 3000 Menschenleben forderte, sind von frappierender Symbolkraft. Die von islamistischen Terroristen zu fliegenden Bomben umfunktionierten Flugzeuge erscheinen wie gewaltige Projektile, die in das Herz der westlichen Hemisphäre dringen – so war es von den Urhebern des Anschlags beabsichtigt, so wurde der zerstörerische Akt inszeniert. Die Attentäter und Drahtzieher des Terrornetzwerks Al-Qaida sehen sich als Kämpfer einer »Internationalen Islamischen Front für den Heiligen Krieg gegen Juden und Kreuzzügler«, seither symbolisiert kein anderer Begriff die Angst des Westens vor der islamischen Welt mehr als das oft missverstandene und missbrauchte Wort »Dschihad«.
Dabei haben hochrangige Islamgelehrte stets darauf hingewiesen, dass der Dschihad keineswegs Synonym für den »Heiligen Krieg« sei, er dulde auch keinen Mord an Unschuldigen und schon gar keinen Terror. Der Begriff, der auf Koransuren zurückgeht, bedeute zunächst »Bemühung, Anstrengung, Streben« im Glauben. Die Tradition unterscheidet den »Großen« Dschihad, das individuelle Mühen des Gläubigen um Gottgefälligkeit, vom »Kleinen«, der gemeinsamen Anstrengung zur Verbreitung des Glaubens und zu seiner Verteidigung gegen Feinde und Ungläubige. Doch die Frage, ob theologische Begriffe schriftgetreu ausgelegt werden, deutet nur auf eine Facette des Problems. Tatsache ist, dass gesellschaftliche, kulturelle und machtpolitische Konflikte immer wieder mit religiösen Formeln aufgeladen wurden – und werden – und dass selbst
ernannte »Gotteskrieger« fanatische Gefühle stimulieren, die zu Krieg und Terror führen können. Militante Islamisten stellen den bewaffneten »Heiligen Kampf« gegen Ungläubige als zentralen religiösen Auftrag dar. Sie verdrängen dabei, dass Islam nicht nur »Hingabe zu Gott« bedeutet, sondern auch das Streben zum Frieden. Während die hoch angesehene Al-Azhar-Universität in Kairo in einem religiösen Rechtsgutachten das Camp-David-Abkommen mit dem Gegner Israel im Jahr 1979 für »zulässig« erklärte, wurde der starke Mann im Gottesstaat Iran, Ajatollah Khomeini, nicht müde, zum Dschihad gegen den jüdischen Staat aufzurufen. Militante Islamisten wollen ihren »Heiligen Krieg« weltweit führen.
Gibt es ein Äquivalent im Westen? Sicher kein aktuell vergleichbares. Doch eine Reaktion nach dem Anschlag vom 11. September war in diesem Zusammenhang bezeichnend. Der Präsident der vom Terror getroffenen Supermacht, George W. Bush, sprach, noch ganz unter dem Eindruck der Katastrophe – offenbar unbedacht –, von einem »Kreuzzug«, den es gegen den Terrorismus zu führen gelte. Diese Metapher wurde von Medien weltweit aufgegriffen und gerade von radikalen Islamisten als Bestätigung gesehen, worum es dem Westen eigentlich gehe: um die Unterjochung von Muslimen. Bush rief damit ungewollt Erinnerungen an die »Heiligen Kriege« der Christenheit wach und verlieh dem Konflikt folglich auch aus westlicher Warte eine pseudoreligiöse Anmutung. So ist der Begriff »Kreuzzügler« im islamischen Raum auch heute noch die historische Chiffre für westliche Aggression, Unterwanderung und Besatzung und weckt ähnlich negative Assoziationen wie das Wort »Dschihad« im Westen.
In ihrer fast 1400-jährigen Beziehung wurden bei Christen und Muslimen wiederholt religiöse Gefühle instrumentalisiert und missbraucht. Die Bereitschaft, aggressiv zu sein, war dabei wechselseitig. Gleichsam einer Pendelbewegung vergrößerte mal die eine, mal die andere Seite ihren Machtbereich auf Kosten des Antagonisten: ob bei der frühen Ausbreitung des Islam, zur Zeit der christlichen Kreuzzüge ins »Heilige Land«, bei dessen Rückeroberung durch die Muslime, in den Jahrzehnten der osmanischen Expansion der Frühen Neuzeit oder in der Epoche des Kolonialismus und der Weltkriege.
Weiterhin war und ist zudem von angeblichen »Heiligen Kriegen«
oder »Kreuzzügen« die Rede: nach der Gründung des Staates Israel, im noch immer schwelenden Nahostkonflikt, bei den verheerenden Terroranschlägen in New York, den sogenannten Antiterrorkriegen gegen Afghanistan, den Irak und Al-Qaida
Dieses Buch entstand im Kontext der ZDF-Dokumentarreihe »Der Heilige Krieg«, die das wechselseitige Phänomen spiegelt. Warum führten Mächte beider
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