Bernie und Chet
Tisch.
Im selben Moment nahm ich einen Geruch wahr, den ich aus meiner Zeit auf der Hundeschule kannte, und richtig – da unter dem Tisch lag es: ein kleiner Plastikbeutel mit Marihuana.
Bernie warf mir einen Blick zu. »U m Himmels willen, Chet. Hör auf zu bellen.« Er wandte sich wieder an Cynthia. »S pricht Madison viel mit dem Vogel?«
»D ie ganze Zeit. Sie hat ihn schon ewig. Für sie ist er wie ein Mensch.«
Bernie klopfte an den Käfig. Seine Fingernägel waren kurz, völlig abgekaut. »W o ist Madison?«, fragte er.
Der Vogel blieb still. Im ganzen Zimmer blieb es still. Bernie und Cynthia beobachteten den Vogel. Ich beobachtete Bernie. Manchmal machte ich mir Sorgen um ihn. Wenn wir auf einen Augenzeugenbericht von Cap ’ n Crunch zählten, war der Fall aussichtslos.
»G ute Idee«, sagte Cynthia. Sie blickte zu Cap ’ n Crunch hinauf. »W o ist Madison?«, fragte sie, und als der Vogel weiter schwieg, fügte sie in flehendem Ton hinzu: »C ome on, baby.«
»L ight my fire«, sagte Cap ’ n Crunch. Dieses Mal hörte ich es auch.
»G eben Sie mir einen Überblick«, sagte Bernie. »I ch würde gern eine Chronologie erstellen.«
»W as heißt das?«
Das hätte ich auch gern gewusst. Bernie benutzte manchmal schwierige Wörter. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er wahrscheinlich von früh bis spät die Nase in ein Buch gesteckt; aber angesichts der Unterhaltszahlungen für Frau und Kind und der fehlgeschlagenen Investition in eine Firma, die Hosen mit Hawaiihemdmustern herstellte – er hatte eine Schwäche für Hawaiihemden –, ging es nicht nach Bernie.
»D er zeitliche Ablauf«, sagte er. »W ann haben Sie Madison zuletzt gesehen?«
Cynthia sah auf ihre Uhr. Sie war groß und golden. An den Handgelenken und am Hals hatte sie noch mehr Gold, und an den Ohren auch. Ich hatte ein paarmal an Gold geleckt und machte mir nicht viel daraus, allerdings war Silber schlimmer. »V iertel nach acht«, sagte Cynthia. »A ls ich sie an der Schule abgesetzt habe.«
»W elche Schule?«
»H eavenly Valley High.«
»D ie kenne ich nicht.«
»S ie ist ziemlich neu, ein Stück nördlich von den Puma Wells. Mein Exmann arbeitet dort, er ist Bauunternehmer.«
»I hr Exmann ist Madisons Vater?«
»J a. Wir sind seit fünf Jahren geschieden.«
»H aben Sie ihn angerufen?«
»N atürlich. Er hat sie nicht gesehen.«
»S ie haben das Sorgerecht?«
Cynthia nickte. »S ie verbringt hin und wieder ein Wochenende bei Damon, jedes zweite Weihnachten, so in der Art.«
Bernie holte Block und Stift hervor. »D amon Chambliss?«
»K eefer. Ich habe wieder meinen Mädchennamen angenommen.«
Mädchenname? Was war das gleich noch mal? Dauernd änderten sie ihre Namen, diese Menschen. Ich verstand das nicht. Ich war Chet, schlicht und einfach Chet.
»H eißt Madison mit Nachnamen Chambliss?«
»J a.«
»U nd bei der Scheidung war sie ungefähr zehn?«
»J a.«
»W ie hat sie es verkraftet?«
Cynthia hob die Schultern, senkte sie wieder: das Achselzucken. Manches Mal hieß das, jemandem war etwas egal – schwer zu begreifen –, aber war das eines dieser Male? »S ie wissen ja, was man sagt.«
»W as sagt man denn?«
»F ür Kinder ist eine Scheidung besser als eine schlechte Ehe«, sagte Cynthia.
Bernie blinzelte. Es war nur eine winzige Bewegung, leicht zu übersehen, aber ich wusste, woran er dachte: an Charlie und seine eigene Scheidung. Wenn es um Ehen und Scheidungen geht, dürfen Sie mich nicht fragen. Da, wo ich herkomme, ist das beides unbekannt.
»A ber«, sagte Cynthia, »i ch verstehe nicht, was das alles mit Madisons Verschwinden zu tun hat.«
Ich verstand es auch nicht genau.
»I ch will mir nur ein Bild machen«, sagte Bernie. Einer seiner Lieblingssprüche; in den meisten Fällen wirkte er wie eine Zauberformel.
»T ut mir leid«, sagte Cynthia. »I ch wollte Ihnen nicht in Ihre Arbeit reinreden. Es ist nur …« Ihre Augen wurden schon wieder feucht. Einmal war eine von Ledas großen, dicken Tränen auf den Boden getropft und ich hatte sie probiert. Salzig, das hatte mich sehr überrascht. »E s ist nur … o Gott, wo ist sie bloß?«
Bernie sah sich um, entdeckte eine Packung Taschentücher auf dem Schreibtisch und gab ihr eins. »W ann wurde Ihnen klar, dass sie verschwunden sein könnte?«
»A ls sie nicht nach Hause kam. Sie fährt mit dem Bus. Ich bin hier, aber nachmittags muss ich arbeiten – ich bin selbstständig.«
»W as machen Sie?«
»I ch entwerfe
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