Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Thereses Vater beschwor Anni, sich eine neue Stellung zu suchen, bei Ariern.
»Anni, Sie kennen die neue Verordnung. Wir dürfen Sie nicht mehr beschäftigen. Sie werden bestraft, wenn Sie weiterhin zu uns kommen, Sie und wir alle.«
Zum erstenmal sah Therese, daß Anni, die sonst nicht viel sprach, schon gar nicht mit Thereses Eltern, die Anni zwar lieb, aber nicht vertraut waren – daß Anni sich einer Anordnung nicht fügte, die Thereses Vater ausgesprochen hatte.
»Anni«, sagte Vater, und Therese spürte, daß seine Geduld, Annis Unverständnis zu akzeptieren, schon zu Ende ging, daß er dennoch gerührt war über Annis Widerstand: »Anni – Sie wissen, daß Sie sofort ins Zuchthaus kommen, wenn irgend jemand Sie denunziert, und wir – die warten ja nur darauf, daß sie Juden am Zeug flicken können. Anni, Sie müssen gehen, alles andere wäre sinnlos, wäre Dummheit.«
In der Folgezeit entwickelte Anni eine nie dagewesene Liebe zum Englischen Garten und zum Herzogpark. Sie radelte dort herum, stach jungen Löwenzahn oder suchte Kräuter für Tees. Plötzlich war sie im Keller der Suttners, deren Haus im Herzogpark lag. Als nach und nach den Suttners alles genommen wurde, was ihr Leben als angesehene Bürger der Stadt München bereitgehalten hatte, als sie kein Telefon mehr besaßen, kein Auto, kein Fahrrad, kein Radio, keine Bankverbindung, keinen Paß, sondern nur noch eine gelbe Karte, die sie als Juden auswies, da war Anni die einzige Verbindung zur Außenwelt, und Thereses Vater übersah es schweigend. Offiziell arbeitete Anni inder Metzgerei Hallhuber in Schwabing. Therese, Sybille und Anni selber aßen kaum Fleisch, aber Anni hatte schon in guten Zeiten immer gesagt: »Des können wir dem Herrn Hallhuber nicht antun, daß wir vegetarisch werden.« Schon wegen der vielen großen Gesellschaften waren die Suttners immer gute Kunden gewesen, und Hallhuber gab Anni auch dann noch Fleisch für die Familie, als Juden keinen Anspruch mehr darauf hatten. Metzger Hallhuber nannte Hitler oft »einen Deppen, der gar nichts Beßres bringt als die alte Regierung. Der kann doch nur im Flugzeug umeinanderfliegen und die SA, das ist doch nur a Kasperltheater, die tun doch nix anders als Rumexerzieren und dem Herrgott die Zeit stehlen und die SS bestiehlt in Dachau die Gefangenen«.
Die Frau des Metzgers, eine kleine zarte Person mit ständig blauen Lippen, bat ihren Mann immer wieder, doch seine losen Reden zu lassen: »Halt doch dein Maul, Michel, oder willst nach Dachau?« fragte sie ihn zitternd. Doch Hallhuber schielte böse unter seiner speckigen Lederkappe hervor: »Wenn es doch wahr ist, Halunken sind sie, und was die mit unseren Kindern machen, zum Spein. Mein eigener Bub will mir klarmachen, was ich zum Denken hab. Die Rotzlümmel, die gscherten. Da kannst warten, bis die eigenen Kinder die Eltern hinhängen. Gesindel, Diebe, jagen die Leut aus dem Land und dann wird alles beschlagnahmt. Gestern haben sie dem Hoegner seine Möbel abgeholt, Saubärn dreckige.«
Annie erzählte Therese, daß Toni, der Sohn Hallhubers, ständig in seiner HJ-Uniform durch die Metzgerei marschiere und die Leute mit seinem zackigen Heil Hitler begrüße. Der Vierzehnjährige wisse genau, daß er seinen Vater damit stocknarrisch mache. Darum täte er es ja, aber nicht nur darum.
Hallhuber wurde abgeholt. Er kam vors Sondergericht,wurde der Heimtücke angeklagt, fand aber einen milden Richter, der ihn mit einer saftigen Geldstrafe davonkommen ließ. Schließlich war Hallhuber wohlhabend, ihm gehörten zwei Filialen in der Stadt. Zu seinen Kunden zählten einflußreiche Familien. Normale Leute dagegen, die beim Friseur oder im Milchladen oder auch nur im Hausflur den Mund aufmachten, kamen nicht so glimpflich davon. In dem Haus in der Tengstraße, wo Anni seit ihrer Heirat wohnte, hatte der Hauswart seine Augen und Ohren überall. Anni fürchtete ihn: »Der will sich bei der Partei beliebt machen, weil er sonst nichts kann. Er paßt immer auf, daß alle im Haus mit Heil Hitler grüßen und den Arm hochtun. Wer das nicht macht, den zeigt er sofort an.«
Thereses Vater, den die SA bei der nächtlichen Kontrolle abgeführt hatte, saß immer noch ein, bis es schließlich Dr. Huber, dem arischen Prokuristen, gelang, seinen Chef aus dem Keller der Gestapo herauszuholen.
Als Richard Suttner heimkam, wollte seine Frau ihn umarmen, doch er ging an ihr vorbei, schloß sich im Bad ein. Im Vorbeigehen sagte er zu Therese, daß er
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