Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
nach mir, schwappt gefährlich an die Bullaugen, will rein zu mir, es bricht über das ganze Schiff herein, und alle tun so, als wäre nichts.
Viel lieber fuhr Therese im Schlafwagen, da war Boden unter den Füßen. Therese liebte Bahnhöfe mehr als Häfen. Sie liebte glitzernde Gleise, denen ihr Blick ungestört folgen konnte bis zum Horizont. Der Gesang der Räder auf den Schienen war ein Schlaflied, dem sie traute. Paris. Wann war sie in der Frühe am Gare de l’Est eingefahren? »Palais d’Orsay« hieß das Hotel, das am Quay d’Orsay lag und in Thereses Erinnerung groß war und glänzend und voller Diener im Frack. Ihre Zimmer hatten Kamin und große Betten, und zum Frühstück gab es Butterhörnchen, die Croissants hießen. Nur Sybille quengelte. Sie war erst fünf und wollte nicht in die Tuilerien und nicht in den Louvre. Trotzdem sahen sie sich später alles an. Vor allem beeindruckte Therese der Verkehr in Paris. So viele Autos, so viele Menschen, alles schien nervös zu flirren, schiengroß und elegant und golddurchwirkt. Selbst die Luft, die Blätter der Bäume, die feinen Damen, die in den Augen des Vaters Lichter anzünden konnten. Therese hatte das schon oft beobachtet. Wenn daheim Gäste waren, begleitete Vater die eine oder andere Dame gelegentlich in den Garten oder auf die Terrasse, und Therese, die sich oft versteckt hielt und spähte, konnte einen verwandelten Vater sehen, einen, dessen Augen groß und eindringlich in die der Dame schauen konnten, der gar nicht abwesend oder gar abweisend wirkte und wohl kaum an Soll und Haben dachte.
Weder Therese noch Sybille, noch Mutter konnten diesen Glanz, diese angespannte Wachheit in Vaters Augen hervorrufen. Das verwunderte Therese, und es schmerzte sie auch, obwohl sie sich das nicht eingestand. Und doch hätte sie für ihr Leben gern einmal diese strahlende Aufmerksamkeit des Vaters auf sich gelenkt. Nur einmal hätte er Therese an sich ziehen sollen, wie er es am großen Silvesterball mit einer Dame tat, die seit kurzer Zeit mit einem Vetter des Vaters verheiratet war und aus Zürich stammte. Therese hatte gesehen, daß sie von der allgemeinen Küsserei um Mitternacht mehr als schicklich Gebrauch gemacht hatten, und sie war dem Paar fortan wachsam gefolgt. Sie wußte nicht, wen sie mehr verabscheute. Den Vater, der dieser Frau ein Gesicht schenkte, das er Therese und ihrer Mutter nicht gab – oder diese Frau, die triumphierend ihrem kleinen blassen Ehemann heimzahlte, daß sie seine Frau sein mußte. Das wurde in der Familie erzählt.
Therese suchte immer besorgt im Gesicht der Mutter nach Zeichen eines Sturms. Was wußte Therese von ihrer Mutter? Daß sie aus der jüdischen Familie Cohen stammte und Malerin war.
»Meine Mutter ist Malerin«, erzählte Therese oft stolz, doch sie machte früh die Erfahrung, daß niemals ein Echokam. Jeder schien darüber hinwegzugehen, niemals wurde in der Familie über Mutters Malerei gesprochen. Erst spät wurde Therese sich dessen bewußt, denn für sie war Mutters Atelier eine Art Wartesaal. Therese wartete dort auf ihre Mutter, auf einen Blick von ihr, auf ein Wort. Stundenlang hockte Therese neben den sonnengelben Vorhängen und schaute ihrer Mutter zu, wie sie zeichnete, die Rückansicht eines nackten Mannes malte; Therese sah die Schulterblätter, den Rücken, das Gesäß. Alles sah schutzlos aus, als würde der Mann sich genieren. Ein anderes Bild, das den Mann von vorne zeigte, war schon fertig. Nur trug der Mann auf diesem Bild eine Hose und er genierte sich nicht, sondern hatte die Hände zu Fäusten geballt. Neben der Staffelei an die Wand gelehnt war Thereses Lieblingsbild, das Portrait einer Bäuerin aus dem Isarwinkel. Streng war das Haar unter schwarzem Tuch verborgen. Therese sah das Bild gern an. Es zeigte Annis Mutter. Es schien Therese, als sei in dem Gesicht viel Trauriges, Verlorenes, das sie sich nicht erklären konnte, das sie aber anzog. Wenn Therese bei den Eltern Annis im Isarwinkel zu Besuch war, suchte sie im Gesicht der Bäuerin immer das Portrait, das die Mutter gemalt hatte. Doch sie konnte es nicht finden. Doch niemals hätte Therese ihre Mutter danach gefragt.
Therese saß und sah zu, wie ihre Mutter sie malend vergaß. Therese wußte nicht, ob ihre Mutter begabt war, jedenfalls stellte sie niemals aus, sie verkaufte auch nicht. Sie malte. Jeden Tag saß sie an ihrer schwarzlackierten Staffelei, und ihre dichten Locken waren ebenso schwarz und glänzend wie das Holz. Mutter
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