Betörend wie der Duft der Lilien
Mountbank tanze, war ich vollauf damit beschäftigt, ihm zu entwischen.“
Sogar Calliope musste lachen, als sie sich vorstellte, wie ihre hochgewachsene Freundin sich hinter Vorhängen und Zierpalmen vor ihrem hartnäckigen Verehrer versteckte.
„Und was machen wir nun?“ Thalia klang, als wäre sie am liebsten walkürengleich nach Mayfair gestürmt, um alle Schurken niederzuschlagen, die ihr über den Weg liefen.
„Sicher bin ich mir nicht“, räumte Calliope ein, „aber ich ahne, wo der Liliendieb als Nächstes zuschlagen wird. Beim Ball des Duke of Averton.“
„Himmel!“
„Natürlich!“
„Die Alabastergöttin“, entfuhr es Thalia. „Gar nicht so dumm, Schwesterherz.“
„Eigentlich erstaunlich, dass der Liliendieb sie sich nicht längst unter den Nagel gerissen hat“, kommentierte Emmeline.
„Er wird frecher“, meinte Calliope mit Blick auf die Zeitung. „Während des Balls das Diadem zu entwenden – das zeugt von Selbstbewusstsein.“
Die Alabastergöttin war eine recht kleine, perfekt erhaltene Statue der Artemis mitsamt Bogen, die vor einigen Jahren aus einer griechischen Tempelruine auf der Insel Delos verschwunden war. Jetzt befand sie sich in der Sammlung des Duke of Averton, und er stellte sie gerne aus – obwohl er sonst ein Eigenbrötler war. Die Göttin hatte in der Londoner Damenwelt sogar eine Artemis-Frisuren- und –Sandalenmode ausgelöst. Der Duke hatte verlauten lassen, dass er die Statue bald in sein festungsgleiches Schloss in Yorkshire überführen würde. Zuvor wollte er sie noch ein letztes Mal bei einem großen Griechenland-Maskenball vorführen, seinem ersten Ball seit Jahren.
„Wir müssen alle …“
„Oh!“, fiel Lotty ihr aufgeregt ins Wort. Sie drückte die Nase ans Fenster, um besser hinaussehen zu können. „Da ist Lord Westwood! Und dein Kavalier, Emmeline.“
Mit raschelnden Röcken eilten weitere junge Damen an die Fensterfront und pressten selbstvergessen Finger und Nasen ans Glas.
„Ah, er fährt seinen schönen Phaeton“, rief Thalia. „Ich wünschte, Vater würde mir einen kaufen; ich wäre bestimmt eine gute Wagenlenkerin.“ Sie wechselte das Thema. „Aber Westwood scheint irgendeine Meinungsverschiedenheit mit Mr. Mountbank zu haben …“
Ach was, dachte Calliope. Cameron de Vere, Earl of Westwood, zog Meinungsverschiedenheiten magisch an.
„Callie, Clio, schaut euch das an. Das ist wirklich zu amüsant.“
Clio folgte Thalias Aufforderung und sah auf die Straße hinab wie auf ein wissenschaftliches Experiment.
Calliope fand es beschämend, wie ihre Freundinnen sich von vernünftigen Frauen in alberne Schulmädchen zurückverwandelten, als hätten sie noch nie zuvor einen Mann gesehen. Und sie wollte Lord Westwood nicht die Genugtuung verschaffen, die so viel weibliche Aufmerksamkeit für ihn zweifellos bedeutete. Doch es war, als zöge ein Strick um ihre Taille sie gewaltsam zum Fenster.
Sie legte die Zeitung hin, schlenderte zu den anderen und sah widerwillig über Thalias Schulter. Lord Westwoods leuchtend gelb und schwarz lackierter Phaeton stand still, seine beiden kastanienbraunen Pferde schnaubten und tänzelten nervös, und Mr. Mountbank, dessen Gefährt Westwood den Weg versperrte, brüllte und gestikulierte wie üblich wild herum. Während Mr. Mountbank über dem grotesk gestärkten Krawattentuch violettrot angelaufen war, lag auf Westwoods ungemein gut geschnittenem Gesicht ein Ausdruck amüsierter Langeweile.
„Meinst du, sie schlagen sich?“, fragte Thalia begeistert.
„Wie schön er ist“, seufzte Lotty. „Wie der Comte in ‚Mademoiselle Marguerites verhängnisvolles Geheimnis‘.“
Nicht einmal Calliope mochte da widersprechen. In romantischeren Kreisen wurde Westwood bisweilen „der griechische Gott“ genannt, und rein äußerlich traf diese Charakterisierung durchaus zu. Hätte er seine wildledernen Kniehosen und seinen flaschengrünen Rock abgelegt, so hätte er wohl wie der zum Leben erwachte Apoll der Gesellschaft der kunstverständigen Damen ausgesehen. Trotz der Sonne trug er keinen Hut; seine glänzenden schwarzen Locken fielen ihm verwegen in die bronzefarbene Stirn und über die dunklen Augen.
Während er, ein süffisantes Lächeln auf den Lippen, Mr. Mountbank zur Vernunft zu bringen versuchte, kam er Calliope im Grunde eher wie ein junger griechischer Fischer als wie ein Gott vor: maskulin, bodenständig und trotzdem geheimnisvoll wie das tiefe Meer. Zweifellos hatte er diese Exotik von
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