Betörend wie der Duft der Lilien
Bredouille brachte. „Der Verkauf der Euphronios-Amphore von Lord Egermont und der Bastet-Statue der Clives muss ihm ein hübsches Sümmchen eingebracht haben.“
„Antiquitäten sind nicht nur finanziell wertvoll“, warf Clio leise ein. „Auch wenn ihre Besitzer das offenbar vergessen haben.“
„Natürlich sind solche Kunstwerke unersetzlich“, sagte Calliope. „Das macht die Taten des Liliendiebs umso niederträchtiger. Wer weiß, wohin die Stücke verschwunden sind und ob man sie je wieder sehen wird? Vielleicht sind sie für die Forschung für immer verloren.“
Clio beugte sich wieder über ihre Mitschrift und murmelte so leise, dass nur Calliope es hören konnte: „Als ob in Lady Tenbrays Bibliothek je geforscht worden wäre.“
„Der Liliendieb stiehlt nicht einfach Geld oder irgendwelche austauschbaren Diamanten wie normale Einbrecher. Er stiehlt Geschichte.“
Die anderen Mitglieder warfen sich ratlose Blicke zu. Schließlich hob wiederum Emmeline die Hand. „Was sollen wir tun, Calliope? Sollten wir einen Dozenten aus Cambridge zu einem Vortrag über Kunstdiebstahl einladen?“
„Oder über Grabräuberei!“, rief die leicht erregbare Miss Charlotte Price, das jüngste Mitglied der Gesellschaft. Sie hatte eine Vorliebe für Schundromane. Ihr Vater war mit Sir Walter Chase befreundet und hoffte, die Gesellschaft werde ihren Horizont erweitern. Bislang war davon nichts zu spüren, aber er gab die Hoffnung nicht auf. „In ‚Die Rache des Barons‘ geht es um einen verfluchten Grabräuber …“
„Das wäre eine Möglichkeit.“ Geschickt nutzte Calliope Lottys Atempause, um einer ausufernden Zusammenfassung zuvorzukommen. „Aber mir schwebt etwas wesentlich … Ambitionierteres vor.“
„Ambitionierter?“, fragten die anderen im Chor.
„Ja.“ Calliope legte die Hände flach auf den Tisch und beugte sich vor. „Wir werden den Liliendieb fangen.“
Seufzer und Rufe stiegen zur Stuckdecke empor.
Charlotte wirkte begeistert. „Genau wie in ‚Die Verwünschung der Lady Arabella‘!“
„Wir werden Amateurdetektive?“ Thalia klatschte in die Hände. „Großartig!“
„Genau“, fiel Emmeline ein. „Gelehrsamkeit ist schön und gut, aber manchmal muss man einfach handeln.“
Clios Federhalter schwebte über dem Papier, und sie hatte die Brauen zusammengezogen. „Wie soll uns das gelingen, Calliope? Selbst die Bow Street Runners haben den Liliendieb nicht aufgespürt.“
So genau wusste Calliope das auch nicht. Die Idee war ihr erst beim Frühstück gekommen, als sie sich bei der Zeitungslektüre in einen gerechten Zorn über diesen unverfrorenen Missetäter hineingesteigert hatte. Sie stellte sich vor, dass sie alle als Angehörige der besseren Gesellschaft sich freier und unauffälliger in den Sammlerkreisen bewegen konnten als diese Ermittler. Sie konnten zuhören und beobachten, ohne Argwohn zu wecken, und den Schurken vielleicht sogar auf frischer Tat ertappen.
Denn sie war sich sicher, dass der Dieb zur Londoner Gesellschaft gehörte – schließlich kannte er die Domizile und die gesellschaftlichen Termine der Lords und Ladies. Aber wie sollten sie die Suche angehen?
„Ich schlage vor, dass wir mit dem etruskischen Diadem anfangen, das gestern Abend gestohlen wurde. War jemand von euch auf Lady Tenbrays Soiree?“ Clio und Thalia waren zu Hause geblieben und hatten gelesen, und Calliope selbst war lieber mit ihrem Vater ins Theater gegangen. Macbeth war ihr spannender erschienen als dieser Ball. Hätte sie doch nur geahnt, dass der Liliendieb erneut zuschlagen würde!
Wieder hob Emmeline die Hand. „Ich war dort, habe aber nichts Besonderes bemerkt.“
„Hat sich niemand auffällig benommen?“, hakte Calliope nach.
„Nur Freddie Mountbank“, sagte Emmeline und seufzte. „Aber was will man erwarten? Es wäre verdächtiger gewesen, wenn er sich nicht danebenbenommen hätte.“
Die Damen kicherten. Der arme junge Mr. Mountbank war ernsthaft in Emmeline verliebt, hatte indes die unglückliche Neigung, laut zu fluchen, wenn er die Nerven verlor – und die Nähe einer Dame machte ihn immer nervös. So mancher Kontertanz musste vorzeitig beendet werden, weil er die Teilnehmer von den Füßen gerissen hatte. Mr. Mountbank schied als Liliendieb aus – wenn er nicht ganz besonders gerissen war und sich geschickt verstellte, was ihm jedoch niemand zutraute.
„Es war sehr voll“, fuhr Emmeline bedauernd fort. „Und da Mutter darauf bestand, dass ich mit Mr.
Weitere Kostenlose Bücher