Betörende Versuchung
Bedürfnis nachgehen zu müssen. Daraufhin hatte sich Schweigen um sie ausgebreitet. Ihr war klar, eine derartige Offenheit hatte sie alle schockiert, aber das war Arabella mittlerweile egal.
Glücklicherweise hatte Georgiana ihr Dilemma erkannt. Die ein Jahr jüngere Georgiana hatte Arabella einige Jahre zuvor in der Abschlussklasse kennen gelernt, die sie damals beide besuchten. Eines Abends wollte Arabella im Speisesaal der Mädchen zu dem Tisch gehen, an dem sie normalerweise ihr Abendbrot allein verzehrte. Gerade ging sie an einer Gruppe von Mädchen vorbei, als die un en dlichen Kommentare über ihre Haare und ihre Größe einsetzten, die mehr als deutlich für ihre Ohren bestimmt waren. Mit glühenden Wangen senkte Arabella den Blick und straffte die Schultern. Sie konnte ihre langen Glieder sowieso nicht verstecken, und außerdem hatte Mama ihr immer beigebracht, stolz auf sich zu sein, so wie sie war. Entschlossen, die Mädchen zu ignorieren, war sie also weitermarschiert. Unglücklicherweise musste sie auf dem Weg zu ihrem Tisch genau an der Gruppe der Lästermäuler vorbei. Sie bekam eine besonders gemeine Bemerkung mit - von ihrer persönlichen, gottgesandten Feindin Henrietta Carlson - und das dazugehörige Gekicher. Arabella dachte keine Sekunde nach - ein Charakterzug, der ihr immer wieder zum Verhängnis wurde bevor sie das Erstbeste tat, was ihr gerade einfiel.
Der Anblick der klebrigen Erbsensuppe, die langsam von Henriettas durch rosafarbene Schleifen geschmückte Löckchen tropfte, verschaffte ihr Genugtuung.
Nur durch ein mehrstündiges Gespräch zwischen Tante Grace, Onkel Joseph und der Direktorin am nächsten Tag blieb ihr der Platz in der Schule erhalten.
Dieser Abend war außerdem der letzte, an dem sie alleine in der Ecke aß. Am nächsten Abend fragte Georgiana sie schüchtern, ob sie ihr Gesellschaft leisten dürfe. Wie es schien, konnte Georgiana Henrietta kein bisschen mehr leiden als sie.
Dass die beiden in vieler Hinsicht grundverschieden waren, hatte offenbar keine Bedeutung, Die Hänseleien der anderen Mädchen waren genauso eklig wie vorher, aber dank Georgianas Freundschaft wesentlich besser zu ertragen. Arabella war stets diejenige, die ihre Gefühle nicht für sich behalten konnte, während Georgiana eher ruhiger und reservierter war, und nachdenklicher. Vor langer Zeit hatte Georgiana es einmal ganz treffend so ausgedrückt: »Der Unterschied zwischen uns, Arabella, ist, dass du immer das laut aussprichst, was ich mich nicht traue.«
Die Freundschaft hatte all die Jahre über gehalten.
Arabellas Kinderstube war ungewöhnlich, wenn nicht gar unpassend gewesen für eine junge Londoner Lady. Obwohl sie die meiste Zeit in England zur Schule gegangen war, hatte die Missionarstätigkeit ihres Vaters die Familie oft in die entlegensten Orte Afrikas und Indiens geführt. Arabella hatte London immer genossen, aber oft fiel es ihr schwer, sich an die Unmenge von Einschränkungen anzupassen, die eine anständige Dame zu beachten hatte. Eigentlich hatte Arabella nirgendwo so richtig hin gepasst. Auf den Reisen mit ihren Eltern war das auch gar nicht nötig gewesen; und so hatte sie sich daran gewöhnt, ihren eigenen Weg zu gehen.
Noch einmal versuchte sie, an der Marmorsäule vorbeizulugen, um Georgiana zu entdecken. »Georglana? «
»Ich glaube, die Luft ist jetzt rein«, gab die Angesprochene ihre Vermutung kund.
Vorsichtig verließ Arabella ihr Versteck. »Georgiana, ich fürchte, ein vierter Verfolger ist im Anzug. «
Georgiana lachte.
»Hör auf«, grummelte Arabella, »du solltest doch diejenige sei ii, die unerwünschte Bewunderer abwimmeln muss, nicht ich.« Zierlich gebaut, mit seidigen blonden Haaren und einem herzförmigen Gesicht war Georgiana der Inbegriff des jungen Londoner Fräuleins - das genaue Gegenteil von Arabella.
Doch in der Tat waren sowohl Arabellas Mutter Catherine als auch deren ältere Schwester Grace in jungen Jahren wahre Schönheiten gewesen. Arabella hingegen kam sehr nach ihrem Vater. Nicht nur, dass sie seine groß gewachsene, feingliedrige Statur geerbt hatte, sondern auch diese Fülle an dicken roten Haaren ... alles Merkmale, die höchst unschicklich waren in einer Zeit, die zierliche, blasse Blondinen wie Georgiana zum Schönheitsidol erklärte.
»Meine Güte, ich liebe dein Kleid, Georgiana. Du siehst aus wie eine Prinzessin. « Ihre schmalen, behandschuht e n Finger berührten Georgianas Rock aus weißer Wildseide. »Ich wünschte, ich
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