Betreutes Trinken
verziehe das Gesicht. Ich hasse es, wenn jemand, und besonders Katja, unsere Kneipe »Deee Aitsch« nennt. Sie heißt immer noch »Dead Horst«, meinetwegen auch »Horst«, oder für mich ganz einfach: Zuhause.
»Doki, ich hasse Bahn fahren. Das dauert ewig, und die letzte Bahn fährt schon um eins zurück, da habe ich gar keine Lust drauf!«, mault Katja, und ich weiß, was von mir erwartet wird. Zähne zusammenbeißen und die Frage aller Fragen stellen:
»Willst du bei mir übernachten?«
»Hmm. Okay, wenn’s sein muss«, seufzt Katja, und bevor ich mein Angebot zurückziehen kann, macht mein zukünftiger Gast ein paar unverbindliche Vorschläge: »Doki, wenn ich bei dir übernachten soll, dann möchte ich aber an der Wandseite schlafen, okay? Und kannst du mal die Bücher raussuchen, die ich dir geliehen habe, die kann ich ja dann direkt mitnehmen. Und du kannst mir auch gleich das eine Kleid leihen, oder? Ach weißt du, dass wird vielleicht sogar ganz lustig, dann komme ich vorher zu dir, und wir trinken einen Sekt. Hast du Pfirsichsirup im Haus? Und dann spiele ich dir noch vor, was wir mit der Band aufgenommen haben, und morgen frühstücken wir schön … Weißte was, Doki, vielleicht bestellst du jetzt schon mal das leckere Baguette vor, nicht, dass die morgen zum Frühstück wieder ausverkauft sind.«
»Ist gut«, kann ich hervorpressen, obwohl ich dabei auf mein Kopfkissen beiße. Katja ist meine beste Freundin und ich liebe sie. Ich liebe auch den Ozean, aber auch den muss ich nicht unbedingt in meiner Wohnung haben. Obwohl der wahrscheinlich wesentlich anspruchsloser und somit einfacher zu beherbergen wäre als Katja.
»Warte mal Doki, da ist nur der Andi am Handy«, dann höre ich sie brüllen: » WAS WILLST DU DENN JETZT ?«
Seine Antwort kann ich nicht hören, aber sie erschließt sich durch Katjas Folgegebrüll:
» NA TOLL, DER TANK WAR NUR LEER, SUPER! ABER JETZT SCHLAF ICH EH BEI DOKI, TSCHÜSS !«
Nach dieser eindrucksvollen Unterweisung ihres Liebsten wendet sich Katja wieder mir zu: »So, da bin ich wieder. Andi, der Spacken, hatte nur vergessen zu tanken. Aber dann schlafe ich trotzdem heute bei dir, oder? Ich meine, dann können wir auch mal wieder ordentlich einen trinken, wenn ich nicht zurückfahren muss. Also, bis später, tschüss!«
Katja legt auf, bevor ich mich verabschieden kann. Ich nehme ihr das nicht übel. Wenn ich bei ihr auch noch solche kleinen Delikte ahnden würde, käme ich zu gar nichts mehr.
Als ich wieder in der Küche stehe, fällt mir auf, dass mein Kaffee kalt ist. Der Kaffee, den ich aus meinen letzten Pulverresten gekocht habe. »Kein Grund, sich aufzuregen«, mahne ich mich selbst, als ich in den Kühlschrank blicke: »Alles halb so wild, es wäre eh keine Milch mehr da gewesen.«
Bei einer vierten Zigarette gehe ich im Kopf meinen Tagesplan durch. Wahrscheinlich sollte ich als Erstes die Wohnung aufräumen, und zwar gründlich, das ganze Programm. Küche wischen, Bad putzen. Den Fernsehbildschirm mit Glasreiniger bearbeiten, sonst schreibt Katja sofort wieder mit dem Finger »Du Ferkel« auf den Bildschirm. Das bleibt dann wieder wochenlang da stehen und macht mir schlechte Laune. Außerdem sollte ich Katjas Lieblingsbettwäsche aufziehen, die ich erst waschen und in den Trockner meiner Nachbarin bringen müsste. Vorher sollte ich aber unbedingt das Kleid, das Katja sich von mir leihen möchte, in die Wäsche werfen. Es steht ihr absolut nicht, und wenn es klitschnass ist, wird sie es kaum ausleihen wollen. Andererseits weiß Katja von meinem Trockner-Arrangement mit der Nachbarin. Sie hätte keine Skrupel, dort auch noch spät am Abend zu klingeln, um das Kleid dort zum Trocknen abzuliefern. Was wiederum bedeuten würde, dass ich in den nächsten Wochen zweimal die mordlustige Katze meiner Nachbarin füttern muss, worauf ich überhaupt keine Lust habe. Vielleicht wäre es also wesentlich sinnvoller, ganz viel Alkohol zu kaufen, Katja am Bahnhof abzugreifen und sie ein bisschen aufzuheitern, bevor sie überhaupt meine Wohnung betritt.
Ab dem ersten Bier ist Katja meist gnädiger, was mein Chaos angeht. Nach dem zweiten Bier wird sie allerdings erst recht das Kleid anziehen wollen, weil sie danach sicher ist, dass es ihre Oberweite schön betont. »Betont« kann ich noch zustimmen, aber schön geht anders. Wenn Katja diesen Fummel trägt, kann ich sicher sein, dass wir den ganzen Abend kein vernünftiges Wort miteinander wechseln werden, weil dauernd
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