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Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Titel: Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Bartel
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ich kurze Zeit später von der alten Tante Realität belehrt.
    »Ich muss nur noch ein paar Sachen packen«, behauptet nämlich Sarah, ohne rotzuwerden.
    Das lügt sie. Sie hat noch gar nichts gepackt. In ihrem Zimmer liegen bloß drei Haufen mit Sachen und Zetteln obendrauf. Auf einem steht »Wegwerfen«, auf dem anderen »Mitnehmen« und auf dem dritten steht »Weiß nicht«. »Weiß nicht« ist der weitaus größte Haufen.
    Horsti erklärt sich sofort bereit, die unter »Wegwerfen« abgelegten Sachen zu übernehmen, und Sarah sagt leichtfertig: »Behalt einfach, was du brauchen kannst«, bevor ich protestieren kann.
    Zwei Stunden später sitzen wir völlig erschöpft in der Küche ihrer neuen WG. Die Idee, Horsti freie Hand bei Sarahs alten Sachen zu lassen, war doch nicht so gut, weil er das Mandat viel zu großzügig ausgelegt hat. Während wir Sarahs Möbel in den Wagen geschleppt haben, ist er auf Erkundungstour durch die ganze Wohnung gegangen und hat nach Dingen Ausschau gehalten, sie fein säuberlich in Zeitungspapier und Tüten verpackt und dann heimlich in unseren Kleinbus geladen.
    Dabei hat er einen erstaunlich bürgerlichen Geschmack bewiesen: Besonders gefielen ihm nämlich ein Porzellan-Service, ein Perserteppich und ein Aschenbecher aus Bronze, der gut und gerne fünf Kilo wiegt.
    Wir mussten alles noch einmal auspacken und das Diebesgut aussortieren, während Horsti wie ein übergewichtiges Rumpelstilzchen um uns herumhüpfte und sich ungerecht behandelt wähnte.
    Günthers Kieferorthopäden schaffen wir gerade noch, für Horstis Termin ist es hingegen zu spät, aber wir haben uns bereits auf folgende offizielle Version der Ereignisse geeinigt: Ich habe ihn rechtzeitig dort abgesetzt und wieder abgeholt, aber Horsti ist nicht hingegangen.
    Er habe ohnehin nicht vorgehabt hinzugehen, erklärt er großzügig.
    »Aber dann kriegst du Ärger«, wendet Milva ein, doch Horsti winkt routiniert ab und sagt: »Wir kriegen nie Ärger, wir sind behindert«, worauf Günther und Milva ihn lange aus ihren kleinen, leicht geschlitzten Augen anschauen und schließlich bedächtig nicken. Manchmal sind sie mir wirklich unheimlich, die Kollegen.
    Sarah kommt mit in den Westerwald, beschließe ich. Sie braucht dringend Ruhe und Schonung, diese Umzieherei ist nichts für sie.
    »Schrecklich komplizierte Angelegenheit, dieses Wohnen«, sagt sie und schaut missmutig auf die Kartons in ihrem neuen Zimmer. »Ich weiß jetzt schon nicht mehr, was da drin ist.«
    Horsti fängt an aufzuzählen, er hat ein gutes Gedächtnis für so etwas.
    »Das braucht doch kein Mensch«, sagt Sarah, und Horsti bietet wiederum seine Hilfe an.
    Wir lehnen ab. Man kommt durch Horstis Gemach auch so kaum noch durch.
    Sarah dagegen hat es nicht so mit Besitztümern. Es ist da ein Unweibliches an ihr, wo andere Frauen einen Hang zum Nestbau haben. Sie hat wohl Dinge: Kleidung, Bücher, dinggewordene Erinnerungen, Lebensausstattung, aber sie gluckt nicht darauf herum. Dinge, die ihren Dienst getan haben, gibt sie frei. Sie lebt ein wendiges Leben, kluge Menschen tun das bisweilen. Dafür sind sie hemmungslos überfordert, wenn sie sich einrichten sollen.
    Sarah sitzt ratlos auf ihren Kartons, macht erst eine wegwerfende Handbewegung und dann dieses bestimmte Gesicht. Es ist ihr Aufbruchsgesicht. Ich liebe es.
    »Ach, scheiß drauf. Lass uns was erleben«, sagt sie.
    Genau das war der Plan.
    »Du musst dir Milvas Familie als gelungene Mischung aus den Waltons, den Fuggern und dem Fanclub der Grateful Dead vorstellen, die sich zur Kirmes in Walden Pond verabredet haben«, erkläre ich Sarah, als wir auf der Landstraße sind. Es mag ein gewagter Denkansatz sein, aber anders ist diesem Phänomen nicht beizukommen. Sarah nickt irgendwo zwischen beeindruckt und verwirrt.
    Immerhin kommen wir rechtzeitig zur Schweinstaufe. Als wir auf den Hof fahren, galoppiert uns das Tier mit einer roten Samtschleife geschmückt entgegen. Dahinter galoppiert Milvas Mutter, die eine ähnliche Schleife im Haar, ansonsten aber einen blauen Overall trägt.
    Mit einer erstaunlich behenden Blutgrätsche bringt Milvas Mutter das Ferkel zu Fall, schultert es nach kurzem Hand- und Hufgemenge und trabt mit unverminderter Geschwindigkeit auf uns zu. Es folgt eine jener ausgiebigen Begrüßungszeremonien, für die Milvas Familie weit über die Grenzen ihres Weilers hinaus gefürchtet ist.
    »Mensch, ich freu mich«, ruft die Gisela nun zum fünften Mal und walkt uns unbarmherzig

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