Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
nächsten Tag annonciert hat, sodass der Abend von zivildienstlicher Hektik unbelästigt seinem Ende entgegenfließen konnte.
Worüber sich daheim im Übrigen niemand wundert, denn als Zivi in einer Elterninitiative ist man kein normaler Arbeitnehmer, sondern irgendetwas zwischen Ersatzsohn und Galeerensklave. Im Moment gehöre ich zur Familie, aber Gisela wollte mich auch schon mal zur Apfelernte ausleihen, weil sie ausgerechnet hatte, dass ich billiger komme als ein Pole.
Irgendwann lugt die Sonne hinter dem Beulskopf hervor, der sich fichtenbestanden über Busenhausen erhebt, und blaues Dämmerlicht erfüllt die Stube. Horsti spricht einen letzten Toast, den er Milvas Mutter und Rex Gildo widmet, in die er zu gleichen Teilen verliebt zu sein erklärt, und Elfbert, der Ältere und Unschweinerne, chantet ein beherztes Omm, damit die Sonne auch ganz bestimmt gleich wieder über diesem schnapsgetränkten Bullerbü aufgeht.
Dann wird zu Bett gegangen.
»Ins Heu, ins Heu«, drängelt eine glückliche Frau.
»Ins Heu, ins Heu«, sagt ein glücklicher Mann.
15 »Es geht mir schlecht«, sagt Bernd und schaut uns triumphierend an.
Leider hat er Recht. Sein Vater ist gestorben und es geht Bernd wirklich schlecht, obwohl er uns angrinst, als hätte er gerade den Nobelpreis gewonnen.
»Und deswegen müsst ihr tun, was ich sage«, ergänzt er und wir nicken, weil nämlich auch das stimmt. Das hat Bernd schriftlich, er hat den verdammten Zettel sogar mitgebracht und wedelt damit herum.
»Wenn es einem der Unterzeichnenden schlechtgeht, müssen die anderen alles tun, was er sagt, bis es ihm wieder bessergeht«, steht da in Bernds Schrift. Daneben steht in meiner Schrift »Aber nur einmal«, und darunter sind die Unterschriften von Bernd, Tante Matthes und mir. Den Vertrag haben Bernd und ich in der achten Klasse aufgesetzt, deswegen wirkt meine Schrift noch etwas kindlich, während Bernd schon immer geschrieben hat wie ein Oberarzt auf Alkoholentzug.
»Das gilt also immer noch?«, fragt Matthes und Bernd nickt. Für Bernd ist das gar keine Frage, sein Abo von Peter Moosleitners interessantem Magazin gilt ja auch immer noch.
Und eigentlich ist es nur fair, dass Bernd endlich die Früchte dieser Abmachung erntet, immerhin war die ganze Geschichte seine Idee, aber bisher ist es ihm halt noch nie erkennbar schlechtgegangen. Bernd neigt nämlich nicht so zu Gefühlen. Er ist Hobbyautist und Naturwissenschaftler mit einem Faible für moralisch bedenkliche Versuchsanordnungen und Forschungsansätze.
Wahrscheinlich ist er auch der Einzige, der je mit einem geheimen Rüstungsprojekt am Wettbewerb »Jugend forscht« teilgenommen hat. Er hatte damals versucht, heimlich ein neuartiges Nervengas zu entwickeln, was uns nach seinem missglückten Experiment eine Woche schulfrei und Bernd diverse Sitzungen beim Schulpsychologen einbrachte, weil er für einen Zwölfjährigen erstaunlich weit gekommen war. Zu Bernds Glück war der Amoklauf an Schulen noch nicht erfunden, sonst hätten sie ihn damals für immer weggesperrt.
Überhaupt galt Bernd damals als Wernher von Braun unserer Schule: Hochbegabt, aber vollkommen gewissenlos hat er seine Kenntnisse jedem zur Verfügung gestellt, der dafür zu zahlen bereit war. Sogar dem fetten Ammler hat er Stinkbomben gebaut, und der galt vollkommen zu Recht als Saddam Hussein unserer Schule, was nicht allein an seinem Schnauzbart lag, den er schon aus der Grundschule mitgebracht hatte. In der Unterstufe hat Bernd jedenfalls noch das glamouröse Leben eines verrückten Wissenschaftlers geführt, bis der Markt für Stinkbomben, Raketentreibsätze und Modellflugzeugaufrüstungen von einem auf den anderen Tag zusammenbrach und auch Bernd selbst schließlich von den reißenden Wogen einer reichlich verspäteten Pubertät mit voller Wucht erfasst wurde und sich total verpickelt in den hintersten Winkeln unseres Klassenzimmers wiederfand.
Dort traf er auf mich, weil die Wogen auch mich dort abgesetzt hatten, und wir wurden Freunde, allerdings hauptsächlich aus Mangel an Alternativen.
Bernd übernahm meine Hausaufgaben und ich sagte ihm dafür, was für Musik er hören muss. Er hatte sogar angeboten, meine Mathematikarbeiten zu schreiben, aber dafür hätte ich ihm zeigen müssen, wie man Mädchen anspricht, und das wusste ich selber nicht. Dabei habe ich es immer wieder versucht, aber »Guten Tach« hat einfach nie gereicht.
In der Oberstufe stieß Tante Matthes aus Bayern zu uns, unterschrieb
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