Betrug und Selbstbetrug
väterlicherseits verwandt sind. Wie wir bereits im Zusammenhang mit Krieg und Religion erfahren haben, lösen solche Konflikte neben herzlosen, grausamen Verhaltensweisen besonders häufig die Selbsttäuschung aus.
Die Zeitungen versorgen uns jeden Tag mit frischem Material. Wie sich herausgestellt hat, herrschte in japanischen Atomkraftwerken eine so schlechte Sicherheitskultur, dass sogar die NASA sie bewundern konnte. 3 Man steckte alle Anstrengungen in eine PR -Kampagne, mit der das ganze Land davon überzeugt werden sollte, dass die Reaktoren sicher sind; gleichzeitig kümmerte man sich aber nicht um die Frage, was im Fall einer Krise zu tun ist. Obwohl das Land in der Robotertechnik führend ist – japanische Roboter können auf zwei Beinen laufen, singen, tanzen und Geige spielen –, hatte man keine Roboter für die Arbeit in einer havarierten Atomanlage konstruiert, weil »ihre Einführung nur Angst auslösen würde«. Schließlich musste man sie von einem Unternehmen in Massachusetts importieren, das vor allem als Hersteller von Staubsaugerrobotern bekannt ist. Ebenso gab es keine Methode, um Kühlwasser zuzuführen; eine über 60 Meter lange Wasserpumpe musste eigens dafür aus China herangeschafft werden. Das gleiche Prinzip ist uns in diesem Buch an vielen Stellen begegnet: Wenn ein Unternehmen oder eine Regierung in den Verkaufsmodus umgeschaltet hat, werden prosaische Fragen wie die nach der Sicherheit beiseitegeschoben.
Auch die Wissenschaft spuckt weiterhin ein Beispiel nach dem anderen aus. Metaphern sind so stark, dass wir uns sogar die Hände waschen wollen, wenn wir etwas Unmoralisches (= Schmutziges) getan haben, aber die Art unseres Fehlverhaltens kann sich darauf auswirken, welches Desinfektionsmittel wir wählen: Seife für unangenehme E-Mails, die mit der Hand verschickt wurden, aber eine Mundspülung für eine boshafte Nachricht auf dem Anrufbeantworter. 4 Im Prinzip können manche dieser subtilen, unbewussten Assoziationen auch anderen auffallen, insbesondere wenn sie uns nahestehen und ein Motiv dazu haben.
Telefonkonferenzen, in denen Unternehmen über ihre Vierteljahresergebnisse berichten, wurden mittlerweile von Wirtschaftswissenschaftlern einer linguistischen Analyse unterzogen, mit der man nach Hinweisen auf Täuschung suchen wollte; als Maßstab für die Wahrheit dienten hier meist die später geänderten Gewinnaussagen. 5 Natürlich tauchen dabei einige der üblichen Bösewichter wieder auf – Menschen vermeiden es, in der ersten Person zu sprechen, wenn sie lügen, und bevorzugen stattdessen »sie« oder unpersönliche Ausdrücke wie »die Leute«. Sie verwenden weniger extreme positive oder negative Ausdrücke – als wollten sie ihre Haltung um der Plausibilität willen abmildern – und weniger Begriffe, die auf Sicherheit oder Zögern schließen lassen (als hätten sie ihren Vortrag auswendig gelernt). Ebenso bevorzugen sie Verweise auf Allgemeinwissen, vermeiden aber Anspielungen auf Shareholder-Value und Wertschöpfung. Die Logik könnte in beide Richtungen funktionieren. Vielleicht übertreibt man auch den Marktwert des Eigenkapitals, um andere hinters Licht zu führen. Die Indizien legen jedoch eine andere Vermutung nahe. Man scheut vor der Wahrheit (über den Shareholder-Value) zurück, weil dort der schwächste Punkt liegt, aber dann bleiben nur noch schwächere Appelle an Aspekte des »Allgemeinwissens«.
Diese Untersuchungen sind bisher noch vorläufiger Natur, aber sie sind auch sehr reizvoll. Zumindest treten wir damit aus den Labors der experimentellen Psychologie heraus, einem Ort, an dem nahezu keine Hoffnung besteht, die Täuschung und ihre Folgen zu untersuchen.
Die Erforschung von Täuschung und Selbsttäuschung hat die schöne Eigenschaft, dass die Beispiele uns nie ausgehen werden. Ganz im Gegenteil: Sie werden schneller neu produziert, als wir sie analysieren können. Zumindest können wir uns an diesem nie endenden Schauspiel erfreuen, während wir uns gleichzeitig darum bemühen, unser Bewusstsein zu stärken. Dabei kann jeder mitmachen, nicht nur Akademiker oder Wissenschaftler. Denn Selbsttäuschung ist ein universelles Phänomen, das mit einer einfachen Logik verstanden werden kann.
1 David Haigs Gene kümmern sich nicht um ihn.
2 Meditation: Davidson et al. 2003 .
3 Nukleare Sicherheit in Japan: Onishi 2011 .
4 Seife oder Mundspülung: Lee und Schwarz 2010 .
5 Telefonkonferenzen: Larcker und Zakolyukina 2010 .
Danksagungen
Ich
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