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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Trivers
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einem schmalen Sandwall aufgehalten. Drei Räder hingen in der Luft, und er kippte nach unten. Sechs Meter tiefer stand ein Baum, der uns hätte auffangen können, ansonsten hätte ein Sturz von 100 Metern zum Tod auf den Felsen geführt. Der Mann hinter mir und ich waren als Erste draußen, und dann mussten wir in den kippenden Wagen greifen, um die beiden anderen herauszuziehen, darunter meine mittlerweile gründlich erschrockene »Freundin«. Jemand hatte weißen Rum dabei; wir gossen ein wenig davon auf den Boden, warfen einige Hanfsamen darauf und dankten dem Allmächtigen für unser Überleben. Ich kann mich nicht erinnern, die junge Frau danach noch einmal gesehen zu haben.
    Aus diesem und vielen anderen Gründen halte ich Imponiergehabe für eines der gefährlichsten Dinge, die man tun kann. Denn ich glaube, dass sich dabei die Aufmerksamkeit ganz und gar von der momentanen Realität hin zu dem Wunsch verschiebt, andere zu überzeugen. Während ich mich auf die junge Frau neben mir konzentrierte und sie beeindrucken wollte – wobei es mir darum ging, sie von meinem muskulösen Neffen abzulenken –, achtete ich kaum noch auf die Straße; das tat ich unvorsichtig, mit übermäßigem Selbstvertrauen und völlig unbewusst, und zwar nicht auf Meereshöhe, sondern auf einer schmalen Straße hoch oben im Gebirge.
    Ein nicht enden wollendes Spektakel
    Zweifellos verschaffen Täuschung und Selbsttäuschung – wenn sie schon sonst zu nichts gut sind – uns wenigstens ein unendliches Spektakel aus großem und kleinem Unsinn, Komödie und Tragödie. Auf diese Krankheit hat keine Menschengruppe ein Monopol, und keine ist dagegen immun. Wie wäre es sonst zu erklären, dass im Jahr 2011 ungefähr 20 Prozent der US -Bürger angaben, nach ihrer Überzeugung sei der Präsident ein Muslim, und 40 Prozent behaupteten, er sei nicht in den Vereinigten Staaten geboren. Oder dass man ernsthaft die Ansicht vertreten (und glauben) kann, derselbe Präsident habe einen »tiefsitzenden Hass auf Weiße«, obwohl seine Mutter eine Weiße war und er ausschließlich bei ihr und ihrer Familie aufgewachsen ist. Einem berühmten Ausspruch zufolge hat in den Vereinigten Staaten noch nie jemand einen Dollar dadurch verloren, dass er die Intelligenz der Menschen unterschätzte. Ebenso könnte man sagen: Noch nie hat in den Vereinigten Staaten jemand eine politische Stellung verloren, weil er die politische Intelligenz der US -Wähler unterschätzt hätte. Jedenfalls herrscht ein erstaunliches Maß von Unwissenheit über grundlegende Tatsachen.
    Betrachten wir einmal einige andere regelmäßige Vorkommnisse. Wie lässt sich ohne Selbsttäuschung erklären, dass Pyramidenspiele immer wieder aufs Neue durch die Seiten unserer Zeitungen geistern, obwohl seit 100 Jahren bekannt ist, dass solche Spiele (zumindest für all jene, die mitmachen, wenn das Spiel bereits läuft) in die finanzielle Katastrophe führen? Und wie könnte es ohne Selbsttäuschung geschehen, dass in den Vereinigten Staaten jedes Jahr einem anderen homosexuellenfeindlichen Politiker oder Prediger ein heimlicher homosexueller Lebenswandel nachgewiesen wird?
    Oder wenden wir uns echten Tragödien zu: Wie können wir ohne Täuschung und Selbsttäuschung erklären, dass Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen auf der ganzen Welt ihre Töchter und Schwestern wegen oftmals geringfügiger Übertretungen der lokalen sexuellen Gepflogenheiten in Form sogenannter Ehrenmorde umbringen? Dass das schwächliche Y-Chromosom, das nur wenige Dutzend proteincodierende Gene trägt, eine solche Aufgabe erfüllen kann, ist kaum zu glauben. Aber das Patriarchat – in dem alle oder die meisten Gene eines Mannes auch auf Kosten seiner Frau und seiner weiblichen Verwandten profitieren – bewirkt in Verbindung mit der geeigneten geistigen Einstellung tatsächlich derart schreckliche Dinge. Männer, die ihre Töchter oder Schwestern ermorden oder grausam entstellen oder in den Selbstmord treiben, tun dies (größtenteils) nicht mit einem Schuldbewusstsein. Ganz im Gegenteil: Sie schützen moralische Empörung vor und sind entsetzt über die Sünden, derentwegen sie zu derart extremen Maßnahmen greifen müssen. In solchen Fällen geraten unschuldige Frauen offenbar in das Fadenkreuz der Konflikte zwischen den örtlichen väterlichen Abstammungslinien, bei denen es sich nicht um Gruppenfremde oder nicht verwandte Nachbarn handelt, sondern um Gruppen verwandter Gene in Menschen, die

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