Betthupferl: Roman (Fraueninsel-Reihe) (German Edition)
überhaupt noch Menschen wohnen und in welchen Bau zum Beispiel die Bäckerin zum Winterschlaf verschwunden ist. »Gästehaus« steht auf jedem der großen Häuser am Ufer entlang, mit verschiedenen Zusätzen: Annabell, Rudi, Irmgard, alles Namen, die vor ein paar Jahrzehnten total die Bringer waren, als die Häuser wahrscheinlich noch neu waren mit ihren wuchtigen schwarz gestrichenen Balkonen, den Fensterläden und dem scheußlichen Strukturputz. Schick ist anders. Und dass nirgendwo Licht brennt und meine Schuhe sich anfühlen, als hätte ich mir nasse Schwämme hineingestopft, macht die Sache nicht gerade einladender. Nur weiter hinten, wo das letzte Tageslicht in totale Schwärze übergeht, an der Grenze zwischen Dorf und Wald, beleuchtet ein Scheinwerfer ein Hausdach. Ich versuche mich zu erinnern. War da nicht das Café Ruderboot , in dem der Kaiserschmarrn fast so gut war wie der von der Lechner-Oma?
Fünf Minuten Fußweg sind es bis dorthin am Ufer entlang, und allmählich kann ich erkennen, worauf das helle Licht gerichtet ist: auf eine rote Fahne mit FC-Bayern-Logo. Aber obwohl ich eine Minute später vor der Kneipentür stehe, um sie aufzustoßen, zögere ich einen Moment, von meinem Spiegelbild in der Kuchenvitrine rechts daneben abgelenkt.
Ich habe optisch praktisch nichts mehr mit dem Mädchen zu tun, das drei Teenagersommer auf der Fraueninsel verbracht hat. Damals war ich eine unsportliche Strebergurke gewesen, mit fusseligen Haaren bis zum Hintern, weil meine Mutter mir nicht erlaubte, sie abzuschneiden. Aber das »Fetthenderl« ist – bis auf meine hartnäckig runde Kehrseite – Vergangenheit. Heute gehe ich zweimal in der Woche ins Training und einmal im Monat zum Friseur. Meine kurzen Haare sind weiß blondiert und in einer dicken Locke aus dem Gesicht geföhnt. Mein Gesicht ist blass, der dicke Lidstrich schwarz, die Lippen knallrot, und zu meinen Pumps trage ich meistens Kleider von teuren Designern, die noch wissen, wie man gescheite Abnäher setzt.
Im Ruderboot ist überraschenderweise der Teufel los, und zwar in rein männlicher Gestalt. Jede Menge Typen hängen an einer Theke rum, über der ein gewaltiger Flachbildschirm schwebt. Gesichter drehen sich zueinander, aufgeregtes Kopfschütteln überall. Es ist anscheinend gerade Halbzeit, vier Männer kommen mir entgegen, jeder eine Schachtel Kippen und ein Bierglas in den Händen. Ich bereite mich innerlich auf meinen Auftritt vor, denn gleich werden sie stehen bleiben, mich mit großen Augen ansehen und fragen: »Kann ich Ihnen helfen, schöne Frau?«
Dachte ich jedenfalls. Aber mein Empfang verläuft anders als erwartet.
»Dem Schiri hamms doch ins Hirn gschissen!«
»Der Müller hat doch seinen linken Hax nur, damit’s ihn nicht umhaut!«
Es ist nicht so, dass sie mich nicht sehen. Zwei nicken sogar mit dem Kopf und nuscheln »Sers« und »Hawedehre« 2 , aber das war’s dann auch. Diese Jungs sehen nicht so aus, als hätten sie darauf gewartet, während eines Bayernspiels für mich Wassertaxi zu spielen. Meine Mundwinkel rutschen nach unten, ich stehe da wie bestellt und nicht abgeholt, und wenn ich mir nicht vollends blöd vorkommen will, muss ich jetzt da rein, anstatt die Tür zu blockieren wie eine bockige Dreijährige am ersten Kindergartentag.
»Griasdi«, kommt drinnen gleich eine weibliche Stimme von rechts, wo eine freundlich aussehende Person mit mütterlicher Oberweite und einer Kellnerschürze an der Kasse lehnt und mich besorgt von der Seite anschaut. »Bist nass worden, ha?«
»Nass ist gar kein Ausdruck.« Ich versuche erst gar nicht noch einmal zu lächeln. »Dabei will ich eigentlich nur auf die Fraueninsel.«
»Auf die Insel? Jetzt?«
Ich versuche einen ortskundigen Eindruck zu machen und meine: »Ja, ich weiß, die letzte Fähre ist weg. Hab ich verpasst. Ich war früher immer nur im Sommer hier.«
»Na, jetzt ist Winterfahrplan, da ist alles anders. Willst du ins Kloster?«
Kloster? Seh ich so aus? Ich habe mich doch nicht in mein sexy Nadelstreifenkostüm und die roten Pumps geschmissen, damit mir jetzt solche Fragen gestellt werden, sondern damit die Leute hier sofort sehen, dass Joe Schlagbauer jetzt in einer anderen Liga spielt. Ich runzle die Stirn und schaue weg, um meinen Unwillen über diese unqualifizierte Bemerkung zu verbergen, und dabei fällt mein Blick auf einen breiten Rücken in einer Lammfellweste, halb verborgen von einem drahtigen Gestrüpp schmutzig brauner Locken. Die nette Frau
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