Beute
Aufschrift »PROP. SSVT« und einem Strichcode. Ein ganz normaler Aufkleber, mit denen Hersteller ihre Produkte versehen.
Ich drehte den Würfel in der Hand. Wo kam der her? Ich kümmerte mich seit sechs Monaten allein um das Haus. Ich wusste, wo alles war. Und Amanda brauchte weiß Gott keinen Überspannungsschutz in ihrem Zimmer. Den benötigte man nur für empfindliche elektronische Geräte, beispielsweise für Computer.
Ich stand auf und blickte mich im Zimmer um, sah nach, ob sonst noch etwas anders war. Zu meiner Verblüffung merkte ich, dass alles anders war - aber nur ein kleines bisschen. Der Schirm von Amandas Nachtlicht war mit Pu-der-Bär-Figuren bedruckt.
Ich hatte ihn immer so gedreht, dass Tieger zum Bettchen meiner Tochter schaute, weil sie Tieger am liebsten mochte. Jetzt war I-Ah zum Bett hin gedreht. Die Unterlage auf der Wickelkommode hatte in einer Ecke einen Fleck; normalerweise war der Fleck unten links, jetzt war er oben rechts. Amandas Salben gegen einen wunden Po bewahrte ich stets auf der Ablage links auf, außerhalb ihrer Reichweite. Jetzt waren sie so nahe, dass sie drankommen konnte. Und es war noch mehr verändert .
Die Haushälterin kam herein. »Maria«, sagte ich, »haben Sie hier im Zimmer sauber gemacht?«
»Nein, Mr. Forman.«
»Aber das Zimmer ist anders«, sagte ich.
Sie schaute sich um und zuckte die Achseln. »Nein, Mr. Forman. Gleich.«
»Nein, nein«, beteuerte ich. »Es ist anders. Schauen Sie.« Ich zeigte auf den Lampenschirm, die Wickelunterlage. »Anders.«
Sie zuckte wieder die Achseln. »Okay, Mr. Forman.« Ich sah die Verwunderung in ihrem Gesicht. Entweder sie verstand nicht, was ich wollte, oder sie hielt mich für verrückt. Und vermutlich wirkte ich ja auch ein bisschen verrückt, ein erwachsener Mann, der sich wegen eines Pu-der-Bär-Lampenschirms aufregte.
Ich zeigte ihr den Würfel in meiner Hand. »Haben Sie das schon mal gesehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Das war unter dem Kinderbett.«
»Ich weiß nicht, Mr. Forman.« Sie nahm den Würfel, sah ihn sich von allen Seiten an, drehte ihn in der Hand. Sie zuckte die Achseln und gab ihn mir wieder. Sie benahm sich zwanglos, aber ihre Augen waren wachsam. Allmählich wurde mir die Sache peinlich.
»Schon gut, Maria«, sagte ich. »Vergessen Sie’s.«
Sie bückte sich, um das Baby hochzunehmen. »Ich füttere sie jetzt.«
»Ja, in Ordnung.«
Ich verließ das Zimmer, kam mir blöd vor.
Nur zum Spaß suchte ich im Internet nach »SSVT«. Ich fand Links zum Sri-Siva-Vishnu-Tempel, zu Informationen über ein Ausbildungslager der SS-Verfügungstruppe in Konitz, zu einem Versandhandel von Nazi-Insignien, zu Subsystems Sample Display Technology, South Shore Vocational-Technical School, Optical VariTemp Cryostat Systems, zu einem Fußbodenhersteller namens Solid Surfacing Veneer Tiling, zu einer Band namens Slingshot-Venus, zur Swiss Shooting Federation - und von da an ging es nur noch weiter bergab.
Ich drehte mich vom Computer weg.
Ich blickte zum Fenster hinaus.
Maria hatte mir eine Einkaufsliste gegeben, in ihrer krakeligen Handschrift. Ich sollte die Einkäufe wirklich erledigt haben, ehe ich die Kinder abholte. Aber ich rührte mich nicht. Es gab Zeiten, wo das unnachgiebige Tempo des Lebens zu Hause mich einfach fertig machte und ich mich völlig erschöpft und leer fühlte. In solchen Zeiten musste ich einfach ein paar Stunden sitzen.
Ich wollte mich nicht rühren. Nicht jetzt.
Ich fragte mich, ob Julia heute Abend anrufen und ob sie diesmal eine andere Entschuldigung haben würde. Ich fragte mich, was ich machen würde, falls sie eines Tages hereinkam und verkündete, dass sie einen anderen liebe. Was würde ich machen, wenn ich bis dahin keinen Job hatte?
Wann würde ich wieder einen Job haben? Ich drehte den kleinen Überspannungsschutz-Würfel träge in der Hand, während ich meinen Gedanken nachhing.
Draußen, direkt vor meinem Fenster, stand ein großer Korallenbaum mit dicken Blättern und grünem Stamm. Wir hatten ihn kurz nach unserem Einzug gepflanzt, damals war er noch wesentlich kleiner gewesen. Natürlich hatten die Männer von der Baumschule ihn eingegraben, aber wir waren alle dabei. Nicole war mit ihrem Plastikeimerchen und der Schaufel ausgerüstet. Eric kroch in seinen Windeln auf dem Rasen herum. Julia hatte die Männer mit ihrem Charme um den Finger gewickelt, sodass sie sogar Überstunden machten, um die Arbeit fertig zu bekommen. Als alle fort waren,
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