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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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  Die Karaffe
     

     
    An die Wand gedrückt und von der Küche aus nicht zu sehen, schlichen Lyra und ihr Dæmon durch den dämmrigen Speisesaal. Die drei großen Tische, die die ganze Länge des Saales einnahmen, waren bereits gedeckt, die langen Bänke für die Gäste aufgestellt, und Tafelsilber und Gläser funkelten im letzten Tageslicht. Hoch oben an den Wänden hingen die Porträts früherer Rektoren. Am Saalende angekommen, blickte Lyra zur offenen Küchentür zurück, und als sie dort niemanden sah, stieg sie zu dem Tisch auf dem Podium hinauf. Er war mit Gold statt mit Silber gedeckt, und statt der Eichenbänke standen dort samtgepolsterte Mahagonistühle.
    Am Platz des Rektors blieb Lyra stehen und schnippte vorsichtig mit dem Fingernagel an das größte Glas. Der helle Klang war im ganzen Saal zu hören.
    »Das ist nicht der Ort für solche Spaße«, flüsterte ihr Dæmon. »Reiß dich gefälligst zusammen.«
    Lyras Dæmon Pantalaimon hatte die Gestalt einer dunkelbraunen Motte angenommen, um in dem dämmrigen Saal nicht aufzufallen.
    »Die machen in der Küche so viel Krach, daß sie das gar nicht hören«, flüsterte Lyra zurück. »Und der Steward kommt erst beim ersten Klingeln. Mach keinen Aufstand.«
    Trotzdem legte sie die Hand auf das Glas, und Pantalaimon flatterte voraus und durch die angelehnte Tür am hinteren Ende des Podiums, die zum Ruhezimmer führte. Kurz darauf tauchte er wieder auf.
    »Das Zimmer ist leer«, flüsterte er. »Aber wir müssen uns beeilen.«
    Gebückt rannte Lyra um den Tisch und durch die Tür ins Ruhezimmer. Dort richtete sie sich auf und sah sich um. Das einzige Licht kam vorn offenen Kamin, in dem ein helles Feuer brannte; gerade in diesem Augenblick rutschte ein Scheit nach unten, und eine Fontäne von Funken stieg auf. Obwohl Lyra fast ihr ganzes Leben im College verbracht hatte, war sie noch nie im Ruhezimmer gewesen; nur Wissenschaftler und ihre Gäste durften es betreten, Frauen niemals. Nicht einmal die Putzfrauen durften hier saubermachen, sondern nur der Butler.
    Pantalaimon setzte sich auf ihre Schulter.
    »Zufrieden?« flüsterte er. »Können wir wieder gehen?«
    »Sei nicht albern! Ich will mich umsehen!«
    Das Zimmer war geräumig und enthielt einen ovalen Tisch aus poliertem Rosenholz, auf dem verschiedene Karaffen und Gläser und eine silberne Rauchmühle mit einem Pfeifenständer standen. Die Anrichte daneben war mit einer kleinen Warmhalteplatte und einem Korb mit Mohnkapseln gedeckt.
    »Die lassen es sich gutgehen, was, Pan?« sagte Lyra leise.
    Sie setzte sich in einen grünledernen Armsessel. Er war so tief, daß sie beinah darin lag. Sie setzte sich wieder auf, zog die Beine hoch und betrachtete die Porträts an den Wänden. Wahrscheinlich handelte es sich bei diesen düsteren Gestalten mit Roben und Bärten, die feierlich mißbilligend aus ihren Rahmen auf sie herunterstarrten, um frühere Wissenschaftler.
    »Worüber sie heute wohl reden werden?« sagte Lyra, oder vielmehr wollte sie sagen, denn noch bevor sie die Frage beenden konnte, hörte sie vor der Tür Stimmen.
    »Hinter den Sessel — schnell!« flüsterte Pantalaimon, und schon war Lyra aufgesprungen und kauerte hinter der Lehne. Der Sessel war allerdings kein gutes Versteck: Er stand in der Mitte des Zimmers, und wenn sie nicht ganz leise war…
    Die Tür ging auf, und es wurde hell: Einer der Ankömmlinge trug eine Lampe, die er auf der Anrichte abstellte. Lyra konnte seine Beine sehen; sie steckten in dunkelgrünen Hosen und schwarz glänzenden Schuhen — ein Diener also.
    Dann sagte eine tiefe Stimme: »Ist Lord Asriel schon eingetroffen?«
    Das war der Rektor. Lyra hielt den Atem an. Sie sah, wie der Dæmon des Dieners hereintrottete — eine Hündin, wie bei Dienern üblich — und sich still zu seinen Füßen setzte. Dann kamen auch die Füße des Rektors in Sicht, in den abgenutzten schwarzen Schuhen, die er immer trug.
    »Nein, Herr«, sagte der Butler. »Wir haben auch vom Luftdock nichts gehört.«
    »Er wird Hunger haben, wenn er kommt. Führe ihn gleich in den Speisesaal.«
    »Sehr wohl, Herr.«
    »Und hast du den speziellen Tokaier für ihn bereitgestellt?«
    »Jawohl, Herr. Jahrgang 1898, wie Ihr befohlen habt. Seine Lordschaft schätzt ihn ganz besonders, wie ich mich erinnere.«
    »Gut, dann geh jetzt, bitte.«
    »Braucht Ihr die Lampe, Herr?«
    »Ja, laß sie hier. Sieh während des Essens herein und kürze den Docht.«
    Der Butler verbeugte sich leicht und ging,

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