Bevor du gehst
fleißig arbeiten, Jungs«, rief er ihnen in seinem Texas-Singsang nach. »Bis zum Umfallen. Und wenn ihr mal wo hinfahren wollt, müsst ihr bloß nach Big Ed schreien.«
3
Roberto schritt voran durch eine Hintertür, die sich vom Parkplatz auf einen grauen Raum in der Größe eines Zugwaggons öffnete. Alles war vollgestellt mit Regalen, Metalltischen und Packungen in den verschiedensten Größen. Anscheinend war niemand da.
Roberto schlüpfte in die Rolle des Fremdenführers und zeigte ihm alles. Er deutete auf mehrere Türen und erklärte, dass sie zu besenkammergroßen Lagerräumen, einem gewaltigen, begehbaren Kühlschrank (mit Bierfässern), einem Gefrierschrank und dem Büro des Chefs führten. Obwohl die Tür einen Spalt offen stand, klopfte Roberto an und wartete.
Der Chef der Filiale hieß Denzel Jessup – ungelogen. Er erkannte Roberto wieder, der im vergangenen Sommer eine Woche lang in Field Six eingesprungen war. Jessup wirkte wie ein Vollblutpferd: groß, straff, breitschultrig, dunkelhäutig. Als Chef hatte er das Recht, ein weißes Hemd mit Knöpfen und eine billige schwarze Krawatte zu tragen. Irgendwie sah es bei Jessup sogar fast schick aus. Er benahm sich weder freundlich noch unfreundlich, blieb ganz neutral und geschäftsmäßig. Nach nur eineinhalb Minuten ließ Jessup fallen, dass er im letzten Jahr an einer Eliteuni studierte und dass er viel zu intelligent für diese Scheiße war. Aber wenn jeder seine Arbeit machte, war alles bestens, und er musste niemandem in den Arsch kriechen.
Jude brauchte fast den ganzen Sommer, um dieses eklige Bild aus seinem Kopf zu verscheuchen.
Jessup schnappte sich ein Klemmbrett und füllte Stempelkarten für die neuen Angestellten aus. Er atmete geräuschvoll aus und wandte sich sichtlich gelangweilt an Jude, dem das alles neu war. »Ich erklär es nur einmal, also hör gut zu. Das hier ist deine Stempelkarte. Nach der wirst du bezahlt. Wenn du die Arbeit nicht umsonst machen willst oder aus tiefer Liebe zu Fastfood, Mäusedreck und Bratfett, musst du deine Stunden festhalten.« Er legte die Hand auf eine klobige Uhr, die an der Wand hing. »Das ist die Stempeluhr. So weit alles klar?«
»Stempelkarte, Mäusedreck. Verstanden«, erwiderte Jude.
Mit geneigtem Kopf beäugte Jessup Jude, als wäre er sich nicht sicher, ob ihm diese Bemerkung gefiel. Kühl taxierend flackerten seine Augen. »Du stempelst nicht vor der ausgemachten Zeit ein. Nicht, wenn du fünf Minuten zu früh kommst, und auch nicht, wenn du zwei Minuten zu früh kommst. Wenn deine Schicht um zehn anfängt, stempelst du um zehn. Klar?«
Jude nickte. So schwer war das nicht zu verstehen.
Das Gebäude war im Grunde nur ein großer Kasten, durch den sich über die ganze Länge ein brusthoher Tresen zog. Auf der anderen Seite des Tresens war ein offener Bereich, wo Kunden herumlaufen, in kompakten Gefriertruhen nach Eiscreme stöbern und sich um warmes Essen anstellen konnten. Außerdem gab es ein paar Drahtständer für Chipstüten, Nachos, Popcorn und solches Zeug. Dahinter stand eine Reihe mit fünf Kassenhäuschen, wo die Kunden gutes Geld für schlechtes Essen zahlten.
Die Fassade des hohen Gebäudes war komplett aus Glas und bot einen freien Blick auf den weiten Himmel, den Strand und den mindestens zweihundert Meter entfernten Atlantik. West End war ein riesiger Strand; bis zum Wasser war es eine lange, heiße Wanderung. Eine Handvoll Leute saß an runden, gelben Picknicktischen im Schatten von grünen Schirmen. Hauptsächlich träge Mädchen im Bikini, die an Strohhalmen lutschten und zuschauten, wie der Wind ihre Servietten wegblies.
Im Augenblick war nicht viel los, erklärte Jessup, weil es erst kurz nach zehn war, aber das würde sich bald ändern. Die Theke war mit einer Rumpfmannschaft von sechs Leuten besetzt. In den Spitzenzeiten drängten sich dahinter bis zu zwölf Angestellte in orangefarbenen Shirts. Es gab einen langen Bratrost für Burger und Hotdogs, einen Pizzaofen, einen Wärmebehälter aus Glas für Brezeln, zwei Fritteusen für Chicken Nuggets, Pommes und Zwiebelringe. An der Stelle, wo Limo und Bier ausgegeben wurde, blieb Jessup stehen. »Im Staat New York muss man einundzwanzig sein, um Alkohol zu servieren. Man muss einundzwanzig sein, um ihn zu trinken.« Er fixierte Jude. »Wenn ich dich dabei erwische, dass du auch nur einen Schluck Bier trinkst, bist du weg vom Fenster. Ich schmeiß dich hochkant raus, ohne mit der Wimper zu zucken. Kapiert?«
»Ja.«
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