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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Preller
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fest.
    »Danke.« Becka nickte. »Auch wenn ich deinen Beifall nicht brauche.« Scherzhaft patschte sie ihm auf die Brust. Jude fing ihre Hand auf, spürte sie am Herzen, hielt sie fest. Dann zog sie die Hand weg und legte sie wieder aufs Lenkrad.
    »Ich hab dir ein Sandwich gemacht«, sagte sie. »Senf magst du doch, oder?«
    Es war echter Schinken. Gierig schlang Jude das Brötchen hinunter. »Hab gar nicht gemerkt, dass ich so ausgehungert bin.«
    Sie warf ihm einen zufriedenen Blick zu und bog auf den Parkway. Das Auto beschleunigte Richtung Jones Beach.

32
    Auf dem langen Strand von West End lief Becka voraus durch die Dunkelheit zum Meer. Noch bevor das Brausen des Ozeans seine Ohren erreicht hatte, roch Jude die salzige Luft und schmeckte den Seetang auf der Zunge. Seine Augen nahmen nur graue und schwarze Schatten wahr, doch in der Ferne ahnte er etwas, das nicht zu sehen war, etwas Riesiges und Geheimnisvolles – den Atlantik. Und dahinter lag eine andere Welt mit noch größeren Geheimnissen. Er griff nach Beckas Hand. Barfuß stapften sie zusammen hinunter zum Wasser. Sie fanden einen Rettungsschwimmerstand und kletterten hinauf auf den hohen, breiten Sitz.
    »Okay, ich hör dir zu, Jude.« Ihre Stimme klang auf einmal angespannt. »Sprich mit mir. Was ist los?«
    Jude wusste nicht, wo er anfangen sollte. Sein Verstand war wie der rastlose Ozean dort draußen, die Gedanken jagten hin und her.
    »Ich hab viel über meine Schwester nachgedacht«, sagte er schließlich. »Ziemlich merkwürdig, jetzt so nach der Sache mit Corey. Ich weiß auch nicht.«
    Becka schielte kurz zu ihm, dann wandte sie sich wieder dem Meer zu.
    Jude seufzte frustriert. Er war sich nicht sicher, was er sagen wollte und warum er überhaupt hier gelandet war auf dem Strand und unter den Sternen. »Ich hab geholfen, ihren Sarg zu tragen.«
    »Den Sarg von deiner Schwester?«
    »Meine Eltern dachten wahrscheinlich, es ist poetisch oder so, keine Ahnung. Ich hab zu ihnen gesagt, dass ich es machen will, aber das war gelogen. Ich hab mich nur verpflichtet gefühlt.«
    »Du warst doch erst neun«, sagte Becka. »Und da hast du den Sarg getragen?«
    »Natürlich nicht allein«, antwortete Jude. »Zusammen mit anderen – meinem Vater, ein paar Onkeln, Freunden meiner Eltern. Ich erinnere mich bloß noch, wie schwer es war.« Jude starrte hinaus aufs Meer. »Das hatte ich nicht erwartet. Sie hat doch höchstens achtzehn Kilo gewogen, aber der Sarg war schwer. Ich konnte nur an das furchtbare Gewicht von diesem Kasten denken. Und bei jedem Schritt war mir klar, dass ich das jetzt für immer mit mir rumschleppen muss.«
    Krachend trieb die Brandung die Wellen ans Ufer. Becka drückte Judes Knie. Ihr Gesicht lag im Schatten.
    »Meistens kommen die Erinnerungen in Farben«, fuhr Jude fort. »Ich sehe ein bestimmtes Gelb, und dann stelle ich sie mir in ihrem hübschen Strandkleidchen vor; oder da ist was Grünes, und ich habe ihre Augen vor mir, fast wie deine, Beck, und wie sie beim Lachen geleuchtet haben. Und dann verschwindet sie wieder wie ein Echo in der Ferne.« Er machte eine Pause. »Ich bin der Junge, der sie hat ertrinken lassen.«
    »Es war nicht deine Schuld.« Becka wandte sich ihm zu. »Deine Eltern hätten das gar nicht von dir verlangen dürfen.«
    Jude nickte. »Schon klar. Mit dem Kopf versteh ich es. Aber …«
    »Du musst diesem Jungen verzeihen.«
    Jude schüttelte den Kopf.
    »Du warst doch noch ein Kind.«
    Plötzlich tauchten die Scheinwerfer eines Jeeps auf, der am Strand entlangrollte.
    »Ein Streifenwagen«, zischte Jude. »Wir dürfen gar nicht hier sein.«
    »Schnell, runter.« Becka sprang in den Sand, dicht gefolgt von Jude. »Verstecken wir uns.«
    Sie quetschten sich zwischen zwei lange Ruderboote, die mit dem Kiel nach oben am Stand festgemacht waren, und drängten sich unter einem dicht aneinander. Vorsichtig spähte Jude hinaus und beobachtete, wie die hüpfenden Lichter näher und näher rückten, ehe sie schließlich Richtung Parkplatz abdrehten.
    Sie blieben in dem schwarzen Bauch des umgedrehten Boots liegen und warteten, bis die Luft wieder rein war. Die Nähe war wie ein elektrischer Sog. Becka fand seinen Mund, und als sie sich küssten, schien die Zeit stillzustehen.
    »Er wird mein Auto entdecken.« Becka stand auf und wischte sich Sand von Armen und Beinen. »Wir sollten aufbrechen.«
    Jude spähte nach Osten. Der Himmel bekam bereits einen sanften rosa Glanz, der den Sonnenaufgang ankündigte. Er

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