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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Preller
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begräbt man, andere lässt man auf einer Party mit einem roten Plastikbecher in der Hand stehen.
    Am folgenden Nachmittag schaute Becka ohne Vorwarnung vorbei. Sie kam unter dem Vorwand, ihm einige Musikbücher zurückzugeben, die er ihr geliehen hatte. Jude bat sie nicht ins Haus, denn er sah ihr an, dass sie sowieso abgelehnt hätte. Sie redeten draußen im Garten unter den zerrupften Ästen der potthässlichen Kiefer. Das Ganze fühlte sich ziemlich passend an, deprimierend wie die Hölle. Becka wirkte gar nicht mal so wütend. Schon drüber weg , vermutete er. Schließlich straffte Becka die Schultern und seufzte resigniert. »Irgendwie hab ich dich auf dieser Straße verloren, stimmt’s?«
    Jude widersprach nicht. Es musste so sein, damit seine Einsamkeit vollkommen war. Er fuhr jetzt auf zwei festen Stahlgleisen, die parallel in die Ferne liefen. Kein Steuer, keine Bremse. Jude folgte nur einem vorgegebenen Weg und fraß Strecke. Tuut-tuut. Aus der Bahn, sonst werdet ihr überrollt.
    Nun war es an Becka, ihn ohne einen Blick zurück stehen zu lassen.
    Gelöscht.
    Und niemand wird überrollt.
    Jude ging hinein, stieg die Treppe hoch und kletterte hinaus aufs Dach. Es war jetzt ein Platz für ihn allein, eine Zuflucht, die er früher mit Corey geteilt hatte. Hier oben, über allem, fühlte er sich seinem Freund näher und konnte sich deutlicher an ihn erinnern. Hier oben rang er mit einer Welt, die aus den Fugen geraten war. Die fahle Sonne sank nach unten, um sich für einen Moment zwischen eine Gruppe hoher Bäume im Westen zu schmiegen, ehe sie ganz verschwand. Sonnenuntergang, Sonnenuntergang.
    Ein Auto näherte sich, stand im Leerlauf vor dem Haus. Jude erkannte es sofort. Dieser dunkelblaue, praktische Ford. Der Wagen von Coreys Eltern. Die Beifahrertür öffnete sich, und eine Frau stieg aus.
    Judes Mutter.
    Sie beugte sich vor und steckte den Kopf durchs Fenster. Coreys Mutter saß am Steuer. In all den Jahren hatte Jude die beiden Frauen nur selten zusammen gesehen. Ab und zu vielleicht, aber befreundet waren sie sicher nicht. Warum jetzt auf einmal? Dann begriff Jude. Es lag auf der Hand. Mrs. Masterson hatte ein Kind begraben. Jetzt gehörte sie zum Club. Zwei Mütter, zusammengeführt von einem unsäglichen Leid, das sie miteinander teilten.
    Der Himmel wurde rot und orange, bevor er sich zu Blau und Schwarz verfärbte wie eine riesige Prellung. Zeit verstrich. Noch keine Sterne, doch Jude wusste, dass sie da waren und nur die Dunkelheit brauchten, um sichtbar zu werden. Das hatte ihm Becka erzählt: jeder Stern eine Seele.
    Jude legte sich auf den Rücken und wartete darauf, von der Finsternis verschlungen zu werden, wartete auf die Sterne, wartete auf den Schmerz. Er konnte nicht beten, hatte keine Worte, hatte keinen Gott, doch er konnte trauern. Und vielleicht war das ja auch ein Gebet. Wie Becka wunderte sich Jude, dass er sich nicht von der Erde löste und davonschwebte. Was für ein Anker band ihn an diesen Ort?

29
    Roberto stand vor Judes Tür und wedelte mit einem Umschlag. »Hi, Jude. Ich dachte, ich bring dir deinen letzten Scheck von der Arbeit. Du hast dich ja nicht mehr blicken lassen, um ihn zu holen.«
    »Oh, ähm, danke.« Jude hatte Mühe, irgendwas herauszubringen. »Das war aber nicht nötig, sie hätten ihn auch schicken können.«
    »Hätte, würde.« Roberto winkte ungeduldig. »Ich wollte ihn vorbeibringen und einfach mal schauen, was du so treibst.«
    Jude wartete darauf, dass Roberto ihm den Scheck reichte, doch das tat er nicht.
    »Also, wie läuft es immer so?«, fragte Roberto.
    Statt einer Antwort zuckte Jude bloß die Achseln.
    »Willst du mich nicht reinlassen?«
    Jude spähte an Robertos Schulter vorbei zu dem Wagen, der am Randstein abgestellt war. »Aha, der Taurus von deiner Mom. Wie ich sehe, bist du noch immer stilvoll auf Tour.«
    »Na ja, der rote Lamborghini ist gerade in der Werkstatt«, erklärte Roberto. »Und den gelben fahre ich nur an Dienstagen.«
    Grinsend gab Jude seine Abwehrhaltung auf und entspannte die Schultern. »Also gut, komm rein.« Er führte Roberto hinunter in den ausgebauten Keller, in dem es Videospiele, einen Flachbildfernseher, Judes Musikausrüstung und Sitzplätze gab.
    Roberto stieß einen Pfiff aus, nachdem er sich ausgiebig umgeschaut hatte. »Wow, das ist ja wie ein Tonstudio. Weißt du, was du hier unten noch brauchst?«
    Bevor Roberto ausreden konnte, fragte Jude reflexartig: »Mehr Kuhglocken?« Die Worte rutschten ihm aus

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