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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Preller
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empfing.
    Ziellos, so glaubte er zumindest, lief er durch eine verlassene Straße und noch eine, bis er einen leeren Spielplatz mit nutzlos hängenden Schaukeln erreichte. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt legte er sich auf eine Wippe, unsichtbar für vorbeifahrende Autos. Jude versuchte, alles in seinem Kopf abzuschalten, Gedanken und Bilder zu verscheuchen, um so leer zu sein wie die unbeschriebenen Seiten eines vergessenen Hefts. Als das nicht gelang, beschwor er stattdessen Zombies und Geister herauf und dann auch die Lebenden. Irgendwie zogen ihn die Gedanken hoch wie starke Hände, die an seinem Kragen rissen, und endlich wusste er, dass es nur den gegenwärtigen Moment gab, das Hier und Jetzt, in dem er dahintrieb. Er atmete ein, er atmete aus. Ja, er wollte an das Leben glauben.
    Jude tippte eine SMS an Becka: Kann ich dich sehen?
    Würde sie es hören? War es möglich, dass sie wach war? Er wartete auf eine Antwort. Nichts. Er schickte eine zweite Nachricht: Jetzt, bitte.
    Es war zwecklos. Bestimmt schlief sie, und ihr Handy war ausgeschaltet. Doch Jude war entschlossen. Er musste sie sehen. Judes Körper wollte rennen, er brauchte es, und so lief er auf dem Grasstreifen zwischen Gehsteig und Straße, energiegeladen, mit gleichmäßigem Herzschlag, die vollen drei Kilometer bis zu Beckas Haus.
    Dort stoppte Jude und sammelte Steinchen von der Straße auf. Oben im Flur brannte ein mattes Licht. Er warf Splitt ans Fenster. Kurz darauf öffnete es sich bebend, und ein Kopf erschien. »Wer ist da?«
    Es war Beckas Bruder. Jude erkannte ihn von der Band in der Bowlingbahn wieder. Trotz der Dunkelheit war nicht zu übersehen, dass er sauer war.
    »Entschuldigung, ich hab anscheinend das Fenster verwechselt«, flüsterte Jude laut.
    »Was?«
    »Wo ist Beckas Fenster?«
    »Willst du mich verarschen?«, schimpfte der Bruder. »Gleich komm ich runter und verpass dir einen Tritt in den Hintern.«
    Doch anscheinend machte Jude da unten auf dem Rasen einen ziemlich erbarmenswerten Eindruck, denn der Bruder – Matt, genau, so hieß er – deutete schließlich auf das Fenster nebenan. »Das ist ihr Zimmer, du Vollpfosten.« Dann knallte er sein Fenster zu.
    Wieder fliegende Steinchen, wieder nervöses Warten. Endlich zog Becka den Vorhang auf und spähte heraus. Als sie Judes Schatten erkannte, bat sie ihn mit einer Geste um etwas Geduld. Ein Scheinwerferpaar schlängelte sich durch die Straße, und Jude schlüpfte wie ein nächtlicher Einbrecher hinter einen Baum. Dann öffnete Becka die Haustür. Er trat aus der Dunkelheit und stieß einen leisen Pfiff aus.
    In Bademantel und Hausschuhen kam sie zu ihm. »Jude, was machst du denn hier?« Ihre Stimme war noch ganz benommen.
    »Ich konnte nicht schlafen. Bin rumgelaufen.«
    »Und jetzt stehst du um drei Uhr früh vor meiner Schwelle.«
    »Entschuldige, blöd von mir. Ich … hab nicht überlegt.«
    Forschend blickte sie ihm ins Gesicht. Ihre Finger berührten seine Wange. »Du siehst furchtbar aus.«
    »Es tut mir so leid, so leid.«
    Becka wandte sich zurück zum Haus. Sie kaute an ihrer Unterlippe, kam zu einer Entscheidung. »Warte kurz.« Sie verschwand durch die Tür und kehrte wenige Minuten später voll angezogen mit einer Plastiktüte und einem Autoschlüssel zurück. »Also los.«
    »Wohin?«
    »Schsch«, machte sie und schlich zum Wagen. »Meine Eltern dürfen uns nicht hören. Du musst mich aus der Auffahrt schieben.«
    Sie setzte sich ans Steuer des Toyota und nahm den Gang heraus. Mit gebeugtem Rücken legte Jude die Hände auf den Kühlergrill und drückte. Problemlos rollte der Wagen die leichte Neigung hinunter zur Straße. »Schnell«, drängte sie. »Steig ein.«
    Becka drehte den Schlüssel, und dann waren sie unterwegs – auf der Straße, um die Ecke. Gespannt schwiegen sie, bis sie sicher sein konnten, dass die Flucht gelungen war.
    Sie reichte ihm eine Limo, die sie aus dem Kühlschrank geklaut hatte.
    Jude schraubte den Deckel auf. »Wohin?«, fragte er erneut.
    »Lass mich erst mal trinken.« Becka griff nach der Flasche. Sie nahm einen tiefen Schluck und rülpste leise. »O Gott, ich rülpse so gern.« Sie kicherte und setzte die Flasche wieder an.
    Vor einem Stoppschild fand Becka etwas Akustisches im Radio, irgendwas mit Gitarre. Die Nebenstraßen waren gespenstisch leer, der Vorort schlief.
    Jude lehnte sich zurück und verfolgte, wie Becka mit wachen Augen die Straße beobachtete. »Du bist eine gute Fahrerin«, stellte er

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