Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
und sie musste schmunzeln. Die ehemalige Spiritistenkirche neben einem Café war geschlossen und durch eine Yoga-Schule ersetzt worden, aber das Schild »Jeden Dienstag um 19 . 30 Uhr: Gottesdienst mit Hellsehen« hing noch da. Sie hatte mit Thor verabredet, dass sie sich auf halbem Weg trafen, und war ziemlich gespannt darauf, was er zu berichten hatte. Sie ging weiter den Kiesweg entlang, überquerte die vielbefahrene Gyldenløvesgade und suchte sich eine ruhige Bank auf dem Svineryggen, von wo aus sie über den vereisten Sankt Jørgens Sø sehen konnte, während der Schnee auf sie herabrieselte.
Thor hatte genauso reagiert, wie sie es erwartet hatte, als sie ihm Irmelins Bericht geschickt hatte. Er hatte sie sofort angerufen, aufgeregt wie ein kleines Kind.
»Das könnte tatsächlich unser Durchbruch werden!«
»Das ist ja schön, aber ich habe sie eigentlich nicht deinetwegen darum gebeten, diese Analyse durchzuführen.«
»Jetzt haben wir endlich etwas in der Hand, womit wir ein kleines Tauschgeschäft veranstalten können, verstehst du?«
Linnea hatte ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, dass sie Irmelin im Grunde genau deshalb beauftragt hatte. Der Bericht brachte Adèle de Clermont-Tonnere mithilfe eines eindeutigen DNA -Vergleichs mit dem Terroranschlag von 1986 in Verbindung. Wäre die forensische Genetik damals schon so weit gewesen, hätte man Adèle wegen ihrer Mittäterschaft verurteilen können.
»Wir servieren den Franzosen eine frische Spur«, hatte Thor begeistert gesagt. »Im Gegenzug müssen sie ein paar Informationen ausspucken.«
Für ihn ging es darum, den DGSE dazu zu bringen, sein Wissen über Clermont-Tonnere zu teilen. Vermutlich hatte sie einen oder mehrere dänische Geschäftspartner, denen Spang-Hansen auf die Schliche gekommen war. Mit diesem Wissen könnte Thor nicht nur herausfinden, warum Spang-Hansen sterben musste, sondern auch, wer für den Mord verantwortlich war. Linnea war dagegen an den vermeintlich existierenden Überwachungsprotollen interessiert, die neben Clermont-Tonnere auch ihren Vater betrafen. Als Thor einen Moment später auf dem Weg auftauchte, konnte Linnea allerdings schon aus der Ferne erkennen, dass er keine guten Nachrichten hatte. Er wirkte so gehetzt, als wolle er so schnell wie möglich weiter, fegte aber dennoch den Schnee von der Bank und setzte sich. Dann erklärte er, dass die Franzosen überraschenderweise sofort reagiert hätten. Und dass ihre Antwort ein Schlag ins Gesicht gewesen sei. Diesmal hätten sie sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, ihm mehr oder weniger unverhohlen zu drohen.
»Man hat mir lediglich mitgeteilt, dass diese Informationen nicht von Interesse wären.«
Linnea starrte ihn fassungslos an, während er erklärte, dass die Franzosen offenbar über all die Jahre hinweg dazu imstande gewesen wären, Clermont-Tonnere zu überführen. Und zwar sogar schon vor dem versuchten Attentat in Tel Aviv. Stattdessen hatte der Geheimdienst sein Wissen dazu genutzt, sie dazu zu erpressen, als Informantin für sie zu arbeiten. Ende der 1980 er Jahre und zu Beginn der 1990 er hatte sie die linksradikalen Milieus bespitzelt. Der DGSE hatte sie gezwungen, seine Marionette zu sein, und auch dann keinen Grund gesehen, etwas an dieser Konstellation zu ändern, als immer klarer wurde, dass ihre illegalen Aktivitäten nur im geringen Maße politisch oder ideologisch motiviert waren. Das machte sie nicht weniger interessant. Letzten Endes hatte man also jahrzehntelang die Hand über eine Waffenhändlerin gehalten, weil sie dem Geheimdienst nützlich war. Der DGSE hatte sie und ihr Geschäft permanent beschattet und abgehört.
»Solange sie auf freiem Fuß ist, kann sie den Geheimdienst zu einer Menge international agierender Verbrecher führen, die er gern erwischen würde«, sagte er. »Das ist ein Teil der Wahrheit.«
»Ein Teil? Was soll das heißen?«
Thor seufzte.
»May Tantawi sagt, die Sache würde verdächtig nach der üblichen Praxis der Franzosen riechen«, fuhr er fort. »Mit ihrem Wissen und ihrer Erpressung können sie dafür sorgen, dass Clermont-Tonnere nur jene Geschäfte abwickelt, die im Interesse der französischen Regierung oder des Geheimdienstes liegen. Das ist eine ziemlich klassische Vereinbarung. Das heißt also: Nein, sie sind nicht daran interessiert, sie hinter Gitter zu bringen. Sie ist die inoffizielle Waffenhändlerin des französischen Staats, die dieser jederzeit einbuchten kann, wenn sie nicht tut, was
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