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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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geflüstert. ›Aber dann gibt es Dinge, die sollte man jemandem anvertrauen, damit einem selbst oder einem anderen geholfen werden kann. Solche Dinge darf man nicht verschweigen. Verstehst du das?‹
    Raffael nickte.
    ›Du warst doch heute mit Svenja draußen, um zu spielen. Wie schon oft, stimmt’s?‹, fragte ich vorsichtig.
    Raffael nickte erneut, aber ziemlich ängstlich.
    ›Aber heute war irgendetwas anders. Irgendetwas ist geschehen. Und das ist auch der Grund, warum sie nicht zusammen mit dir nach Hause gekommen ist. Stimmt’s?‹
    Raffael nickte wieder.
    ›Okay‹, sagte ich ruhig und nahm seine kleine Hand in meine. ›Ich werde dich jetzt nicht fragen, was geschehen ist. Ich lasse dich damit vollkommen in Ruhe – aber im Gegenzug sagst du mir, wo Svenja ist. Ich muss es unbedingt wissen, verstehst du? Ich muss sehen, ob ich Svenja helfen kann. Und das ist ein Geheimnis, das du lüften musst. Bitte, sag mir, wo sie ist.‹
    Aber Raffael schwieg nach wie vor, und ich war kurz davor zu verzweifeln.
    Ich hab ihn dann gefragt, ob sie in der Kirche gespielt haben. Oben, auf der Empore. Das war zwar verboten, aber sie machten es trotzdem ab und zu, weil sie es toll fanden und weil es dort so schön hallte.
    Aber Raffael schüttelte den Kopf.
    Er hatte wenigstens reagiert! Das war ja schon mal ein Anfang, dachte ich.
    Und dann fragte ich ihn ab. Alles, was mir einfiel.
    ›Wart ihr im kleinen Wäldchen hinterm Pastorat? Oder auf dem Deich? Oder sogar am Wasser? Seid ihr über die große Straße gelaufen?‹
    Raffael schüttelte jedes Mal den Kopf.
    Ich weiß heute nicht mehr genau, was ich noch alles fragte, mir fiel eine ganze Menge ein, und irgendwann fragte ich ihn auch nach Bauer Harmsens Scheune, weil sie da schon öfter gespielt hatten.
    Und in dem Moment wurde Raffael kalkweiß, er riss den Mund weit auf, und das blanke Entsetzen stand in seinem Gesicht.
    Ich hab ihm dann beruhigend übers Haar gestrichen und ge sagt, dass alles gut sei und dass ich gleich wiederkommen würde, bin aus dem Zimmer gestürzt und wie verrückt die Treppe hochgerannt ins Schlafzimmer.
    ›Karl, sie ist in Harmsens Scheune!‹, hab ich geschrien. Vielleicht hab ich auch nicht geschrien, sondern geheult, ich weiß es nicht mehr, jedenfalls war Karl sofort alarmiert. Er sprang auf und sagte: ›Ich fahr hin, bleib hier bei Raffael!‹, und dann hat er nur noch seine Jacke und die Taschenlampe gepackt und ist aus dem Haus gerannt.
    Ich hab überlegt, ob Raffael Svenja allein zurückgelassen hätte, wenn sie noch lebte. Wahrscheinlich nicht. Aber selbst wenn er es getan hätte, wäre er so schnell wie möglich nach Hause gerannt, um Hilfe zu holen. Und hätte sicher nicht geschwiegen.
    Wenn ich ehrlich bin, hatte ich nicht mehr viel Hoffnung. Eigentlich gar keine.
    Es war Viertel nach zwölf, als Karl endlich anrief. Handys gab es damals noch nicht. Er hatte Bauer Harmsen aus dem Bett geklingelt und telefonierte von dort.
    Er sagte mir, dass er sie gefunden hätte.
    An seinem Tonfall hab ich sofort gehört, dass alles verloren war, aber ich hab dennoch ›Ich komme!‹ ins Telefon gebrüllt.
    Und dann sagte er leise: ›Du kannst ihr nicht mehr helfen, Christine. Niemand kann ihr mehr helfen. Ich rufe jetzt die Polizei.‹
    In diesem Moment hörte die Welt auf, sich zu drehen. Alles, was ich einmal geliebt hatte, war belanglos geworden, war wie verschüttet unter einem grau-schwarzen Brei. Ich hatte nur noch einen Wunsch: sie zu sehen.
    ›Ich komme!‹, hab ich noch einmal geschrien.
    ›Bitte, lass es‹, flehte er mich geradezu an. ›Es ist nicht gut, wenn du sie so siehst.‹
    Ich hab ja gewusst, dass alles vorbei und alles zu spät war. Sie war nicht mehr zu retten. Er brauchte das nicht noch mal zu wiederholen. Und es lag an meiner Verzweiflung, dass ich anfing, Karl anzubrüllen:
    ›Was weißt du, was gut für mich ist! Ich muss sie sehen, unbedingt! Sie ist mein kleines Mädchen …‹
    Die aufsteigenden Tränen schnürten mir die Kehle zu. Ich legte auf und sagte zu meiner Mutter, die im Sessel aufgewacht war: ›Sie ist tot, Mama!‹
    Bevor meine Mutter reagieren konnte, bin ich aus dem Haus gerannt, in meinen Wagen gesprungen und Richtung Scheune gerast. Um diese Zeit war im Ort niemand mehr unterwegs.
    Ich bin mit achtzig über das Kopfsteinpflaster der alten Dorfstraße gedonnert und dann um die Kurve in einen Wirtschaftsweg geschliddert, der am Ende des Dorfes begann.
    Auf dem schmalen Weg fuhr ich

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