Big Sky Country - Das weite Land (German Edition)
großes Problem. Aber wegen dieser Schwierigkeiten war Callie nicht zu einer verbitterten Frau geworden, wie es bei manch anderen der Fall war. Vielmehr hatte sie die Dinge so genommen, wie sie kamen, das Beste daraus gemacht und Slade so erzogen, dass er sie – und sich selbst – respektierte. Sie gehörte zu den ausgeglichensten Menschen, die Slade kannte. Manchmal allerdings fragte er sich, wie viel von dieser Ausgeglichenheit nur gespielt war.
„Ein oder zwei Mal“, begann sie, „als du noch ein Teenager warst, hat mir John ein paar Dollar für Lebensmittel, Glühbirnen oder Dinge zugesteckt, die du für die Schule brauchtest. Doch dass er das tun würde, hätte ich nie gedacht. Keine Sekunde.“
„Er war immer für eine Überraschung gut, schätze ich.“ In Slades Worten schwang ein Hauch von Sarkasmus mit.
„Nicht überraschend war, wie eingebildet er war“, erwiderte Callie. „Er hatte furchtbare Angst, dass ich mich erdreisten würde, dich nach ihm zu nennen. Dadurch wäre der Skandal noch größer geworden, als er ohnehin schon war. Aber nachdem er erfahren hatte, dass ich dich ‚Slade‘ genannt hatte, meinte er, ich hätte wohl zu viele Westernserien im Fernsehen geschaut. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, ihm zu erklären, dass ich deinen Namen aus einer Geschichte hatte, die ich in Ranch Romances gelesen habe.“
Slade lächelte. Callie hatte ihm von diesen Romanheften und davon erzählt, wie sie damals beim Lesen alles um sich herum vergessen hatte. Sie hatte ihm auch gesagt, dass sie ihn nach ihrem Lieblingshelden benannt hatte.
Bei John Carmodys Beerdigung war sie nicht gewesen. Soweit Slade sich erinnern konnte, hatte sie in letzter Zeit auch nie von ihm gesprochen. Erst jetzt kam Slade in den Sinn, dass sie möglicherweise dennoch um ihn trauerte. Sie musste John Carmody einmal geliebt haben.
„Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich.
Sie nickte. Dann schluckte sie. „Nimmst du Hutchs Angebot an?“, fragte sie schließlich.
Wieder seufzte er. „Wenn ich das bloß wüsste. Einerseits kann ich es mir durchaus vorstellen. Ich könnte das Stück Land kaufen, auf das ich schon seit einer Weile ein Auge geworfen habe. Ich könnte ein Haus und einen Stall bauen. Andererseits … Tja, ein kleiner Teil von mir möchte mein Geburtsrecht geltend machen und will, dass es die ganze Welt erfährt.“
Callie tätschelte seine Hand, stand von dem Stuhl auf und ging zur Kaffeemaschine, einem glänzenden Ungetüm aus Metall, das wie ein altmodischer Dampfkocher klang, wenn man es einschaltete.
„Ich schätze, das ist verständlich.“ Sie wandte ihm den Rücken zu, während sie Kaffee in einen großen Styroporbecher goss und ihn mit einem Deckel verschloss. „Der Wunsch, dass die Leute die Wahrheit erfahren, meine ich.“
Slade war aufgestanden, hatte seinen Hut von der Theke genommen und drehte die Krempe langsam zwischen den Händen. „Ich glaube nicht, dass es irgendjemanden überraschen wird“, wandte er ein. Er erinnerte sich gut an das Gerede, das in seiner Jugend der Auslöser für viele Prügeleien auf dem Schulhof gewesen war.
Callie war nicht einmal zwanzig Jahre alt gewesen, als sie sich mit Carmody eingelassen hatte. Sie war naiv und mutterseelenallein gewesen und gerade von einem dubiosen Beauty-Institut in Missoula zurückgekehrt – mit nichts als einem Friseurdiplom in der Tasche. Außer dem alten Wohnwagen, in dem sie aufgewachsen war, und den zwei kargen Morgen Land dahinter, die sich schräg abfallend zum Ufer des Buffalo Creek erstreckten, hatte sie nichts besessen. Ihr geliebter „Großvater“ war damals bereits zwei Jahre tot gewesen.
„Es tut mir leid, Slade“, sagte sie nun. „Es tut mir leid, was du meinetwegen alles durchmachen musstest. Sobald ich erfahren hatte, dass John ohnehin die ganze Zeit vorhatte, eine andere zu heiraten, wurde mir von praktisch allen Leuten geraten, dich zur Adoption freizugeben. Aber das habe ich nicht übers Herz gebracht. Ich nehme an, das war egoistisch von mir, doch duwarst mein Junge, und ich wollte sehen, wie du zu einem Mann heranwächst.“
„Ich weiß.“ Slade beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Ihm war das alles bereits bekannt, und er konnte verstehen, dass Callie viele Dinge bereute. Tatsächlich war er aber froh, dass sie ihn behalten hatte. Sie hatte viele Opfer gebracht und hart gearbeitet, um das Geschäft aufzubauen, von dem sie beide gelebt hatten. Manchmal mehr schlecht als
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