Big Sky Country - Das weite Land (German Edition)
und schlüpfte aus dem Schlafsack. Es hatte keinen Sinn, wegen der Vergangenheit trübselig zu werden. Schließlich war sie aus einem bestimmten Grund nach Parable zurückgekehrt. Und sie musste damit beginnen, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Damit sie diese Stadt möglichst bald wieder verlassen konnte.
Nach einem kurzen Zwischenstopp im Bad und einer schnellen Katzenwäsche am Waschbecken tapste sie barfuß in die winzige Küche. Dort musste sie mehrere Einkaufstüten durchwühlen, bis sie die billige Kaffeemaschine fand, die sie – neben ein paar anderen lebensnotwendigen Dingen – am Vortag beim großen Discounter am Highway gekauft hatte.
Sie kämpfte kurz mit der Filtermaschine, dann mit dem Kaffeepulver und zu guter Letzt mit dem altmodischen Wasserhahn.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie innehalten – aber nur kurz. Ohne Kaffee war nichts mit ihr anzufangen, und außerdem wusste sie, wer der Besucher war.
„Komm rein!“, rief sie.
Ein metallisch klingendes Ruckeln an der Haustür war zu hören, und einen Moment später betrat Kendra Shepherd – seit ewigen Zeiten Joslyns beste Freundin – die Küche.
Kendra – blond und mit der Eleganz einer Balletttänzerin gesegnet – wirkte in ihrem grünen Hosenanzug und den High Heels munter und voller Tatendrang. Sie leitete die Immobilienfirma „Shepherd Real Estate“ – und das mit sichtlichem Erfolg.
„Du solltest die Tür nachts wirklich abschließen“, sagte Kendra ohne Umschweife. „Auch in Parable gibt es Kleinkriminelle, weißt du.“
„Solange sie nur klein sind, brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen“, entgegnete Joslyn ungerührt und zuckte mit den Schultern. Sie hatte sich gerade über die Kaffeemaschine gebeugt und suchte unter den verschiedenen Schaltern den Einschalt-Knopf. Nachdem sie ihn gefunden hatte, drückte sie ihn mit der Spitze ihres Zeigefingers hinunter. Dann richtete sie sich auf, lächelte ihre Freundin an und fühlte sich dabei wegen ihrer Flanellpyjamahose und des riesigen T-Shirts kein bisschen verlegen.
„Ich meine es ernst.“ Kendra ließ nicht locker. „Man möchte meinen, jemand wie du, der in Phoenix lebt, wäre vorsichtiger.“
Joslyn durchwühlte erneut die Einkaufstüten, diesmal auf der Suche nach Tassen und Süßstoff. „Na gut“, sagte sie leicht abwesend aufgrund ihres dringenden Bedürfnisses nach einem Koffeinschub. „Ich hab’s verstanden. Ab sofort werde ich jede Tür und jedes Fenster verriegeln. Vielleicht lege ich mir auch einen Rottweiler mit Killerinstinkt zu.“
Kendra lächelte und zog sich einen Stuhl an den kleinen Tisch, an dem Platz für zwei Personen war. „Immer noch die alte Besserwisserin …“, stellte sie fest. Es klang fast melancholisch.
„Es ist eine Überlebensstrategie“, erklärte Joslyn halb im Scherz, halb im Ernst. Sie strich sich wieder die Haare aus dem Gesicht und betrachtete ihre Freundin voller Zuneigung. „Danke, Kendra. Dafür, dass du mir einen Job gibst und mir das Gästehaus vermietet hast, meine ich.“
Kendra setzte sich mit einer anmutigen Bewegung hin. Sie hatte ihr helles, seidiges Haar zu einem lockeren Knoten im Nacken hochgesteckt, und ihr einfacher Schmuck – goldene Ohrstecker und ein Armreif am rechten Handgelenk – sah elegant und dezent aus.
„Ich habe dich vermisst, Joss“, sagte Kendra, als Joslyn sich neben sie setzte. „Es ist toll, dich wieder hier zu haben …“ Sie verstummte und senkte den Blick.
„Aber?“, fragte Joslyn leise.
„Ich kann mir nicht recht erklären, warum du hier sein willst. Nach allem, was passiert ist.“ Kendra errötete, schaute Joslyn aber nun wieder direkt an. „Wobei du natürlich keine Schuld hattest, doch …“
Die Kaffeemaschine begann zu zischen, und ein verführerischer Duft breitete sich aus. „Ich habe meine Gründe“, antwortete Joslyn. „Ich verlasse mich darauf, dass du mir vertraust, Kendra. Zumindest für die nächsten paar Monate. Sobald ich es erklären kann, werde ich es tun.“
„Die Leute hatten in letzter Zeit mysteriöse Schecks in ihrer Post“, meinte Kendra nachdenklich. „Schecks von einer großen Anwaltskanzlei in Denver. Und, du hast deine Software-Firma verkauft …“
Joslyn sprang auf, ging rasch zur Kaffeemaschine auf der winzigen Anrichte und spülte unter dem Wasserhahn eilig die zwei einfachen Kaffeetassen ab. „Stimmt, ich habe die Firma verkauft“, gab sie zu. Sowie sie es aussprach, überfiel sie ein Gefühl des Verlusts – und das,
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