Big U
Mautstraße, den Parkway, den Plex und die University Avenue miteinander verband. Die Mautstraße verlief unterhalb des Plexfundaments, daher befand ich mich, als ich zur Nordwand des Gebäudes herauskam, auf einer hohen Böschung. Unter mir schossen Sattelschlepper und Audis durch Schichten blauen Monoxids, deren Lärm wie ein Wasserfall gegen die unnachgiebigen Mauern des Plex brandete. Abgesehen von kümmerlichem Unkraut, das aus Rissen in der Böschung wuchs, war weit und breit keine Spur von Leben zu sehen, außer Casimir Radon.
Er war gerade aus einem anderen Notausgang herausgekommen. Wir sahen einander aus einer Entfernung von rund dreißig Metern, winkten und gingen aufeinander zu. Im Laufe unserer Konvergenz betrachtete ich einen großen und sehr dünnen Mann mit eckigem Gesicht und einem dichten Fünf-Uhr-Schatten. Er trug eine runde randlose Brille. Sein schwarzes Haar war wie gewöhnlich ungekämmt; im Lauf des Jahres variierte es fast willkürlich zwischen Bürstenschnitt und schulterlang. Mir fiel bald auf, daß Casimir noch vor dem Mittagessen einen Anflug von Bartstoppeln bekam und sich in drei Tagen einen Vollbart wachsen lassen konnte. Er und ich waren im selben Alter, obwohl ich gerade meinen Dr. phil. gemacht hatte und er im vorletzten Studienjahr war.
Später fand ich es bemerkenswert, daß Casimir und ich fast im selben Augenblick durch diese Feuertüren kamen und einander begegneten. Aber ich änderte meine Meinung. Die Big U stellte eine unnatürliche Umgebung dar, ein Konstrukt, das der menschliche Verstand geschaffen hatte, nicht Gott oder die Tektonik der Kontinentalplatten. Wenn zwei Fremde einander auf kaum benutzten Treppen begegneten, war es nicht so undenkbar, daß sie einander ähnlich waren und Freunde wurden. Ich stellte sie mir als riesigen Spender vor, mit Bedacht entworfen, so daß jede zu fremde, zu alte oder zu irreguläre Einheit eine Weile wahllos darin herumklapperte, aber schließlich den Weg in die Treppenhäuser fand und zwangsläufig auf dem Auffangtablett für Ausschußware auf der kahlen Rückseite landete. Derweil wurden frischgebackene Akademiker mit attraktiven Abschlußzeugnissen jeden Juni auf der Vorderseite ausgeworfen, vom Verkehr auf dem Parkway mitgerissen und zum gemächlichen Verzehr abtransportiert. Hätte ich das früher begriffen, wäre ich vielleicht zur Vernunft gekommen und hätte gleich aufgegeben, aber an jenem heißen Septembertag, als Abgase unsere Lungen quälten und der Lärm unsere Unterhaltung beeinträchtigte, schien es uns den Aufwand wert, zum Haupteingang zurückzugehen und es noch einmal zu versuchen.
Wir gingen nach Osten und mieden das Stadion. Rechts von uns erstreckte sich die Hauswand hektarweise nach oben und nach vorn in einem perfekten Schlackesteinschema. Wir hatten Dutzende Feuertüren passiert, bis wir zur Ecke kamen und den Zufahrtsstreifen betraten, der an der Ostmauer entlang verlief. Über uns fuhren auf unterschiedlichen Ebenen Lastwagen und Autos brummend und kreischend durch die engen Kurven des Kleeblatts. Die Leute nannten es den Todeswirbel, und manche behaupteten, daß sich Teile davon in die vierte Dimension erstreckten. Kaum war es geplant, verkam das schöne Viertel mit seinen Backsteinhäusern in der unmittelbaren Nachbarschaft zum Slum: Haitianer und Vietnamesen bezogen die Häuser, die von den Bundesbehörden luftdicht gemacht und mit riesigen elektrischen Luftfiltern ausgestattet wurden, ehe der Bau des Autobahnkleeblatts begann.
Hier, auf dem Zufahrtsstreifen, konnten wir eine lange Reihe von Verladerampen hinunter sehen, die Körperöffnungen des Plex, wo Nahrungsmittel und Vorräte aufgenommen und Abfall ausgeschieden wurde, wofür eine endlose Schlange von Lastwagen zuständig war. Die erste dieser Rampen, an der nördlichen Ecke, war eigens für die Entsorgung giftiger Abfallprodukte eingerichtet worden, die in den Labors des Plex anfielen, und eindrucksvoll von Zäunen, roten Lichtern und Warnschildern umgeben waren. Die nächsten sechs Verladerampen blieben Müllwagen vorbehalten, die restlichen bis hinunter zum Parkway den Lieferanten. Wir entfernten uns ein Stück vom Plex, um das alles zu umgehen, und hielten uns statt dessen an den Zaun um das Gelände herum, wo wir Ausblick hatten auf ein Niemandsland verlorener Auspufftöpfe und zerrissener Keilriemen, manchmal aber auch zum Plex selbst hinaufschauten.
Die Neuner-Block-Basis hatte sechs ober-und drei unterirdische Stockwerke. Darauf standen
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