Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
1
I ch schlage die Augen auf. Es ist dunkel. Irgendwas stimmt nicht, das spüre ich. Durch die Rollos kriecht ein wenig Licht von den Straßenlaternen herein; der Raum, der allmählich Konturen annimmt, ist mir vertraut. An den Wänden hängen geschmackvolle Drucke. Sessel bewachen den Kamin; auf einem türmen sich Pauls Sachen zu einem wüsten Berg, über dem anderen hängt mein ordentlich zusammengelegter Morgenrock. Ich befinde mich in unserem Schlafzimmer, an einem sicheren Ort, einer Stätte der Zuflucht vor dem brausenden Alltag. Die andere Seite des Doppelbetts ist leer, das Kissen aufgeschüttelt. Paul ist nicht hier. Ich halte die Luft an, denn da ist es wieder, das Geräusch, ein verwaschenes Kratzen oder Schaben, es kommt von überall und nirgends. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Die Digitalanzeige des Weckers springt auf 3:32, als ich von unten ein Krachen höre. Die Kinder könnten aufwachen. Allein der Gedanke treibt mich unter der behaglich warmen Daunendecke hervor. Ich bin Mutter; Punkt eins der Stellenbeschreibung lautet: Die Kinder müssen beschützt werden, um jeden Preis. Mit langsamen, gezielten Bewegungen rüste ich mich für das, was ich tun muss. Ich greife nach meinem Handy und drehe vorsichtig den Knauf der Schlafzimmertür, um jedes Geräusch zu vermeiden. Unten stöhnt etwas, und es hört sich nicht an wie Paul.
Was als Nächstes geschieht, bin ich im Geiste viele Male durchgegangen, denn Paul ist zurzeit arbeitsbedingt oft weg, und ich finde, ich muss wissen, wie ich kämpfen will für das Einzige, das für mich zählt: meine Familie. Ich bin gern vorbereitet. Und nun spule ich, wie ein Feuerwehrmann im Einsatz, das ganze Programm ab. Ich hole tief Luft, wähle 999, ohne jedoch den grünen Hörer zu drücken, mache das Licht an, laufe, das Handy erhoben wie einen Speer, zur Treppe und schreie in die nächtliche Stille: »Verschwinden Sie aus meinem Haus!«
Dann stampfe ich die Stufen hinunter, umfasse das schneckenförmige Endstück des Handlaufs, schwinge mich, getragen von meinem wachsenden Zorn, herum und sehe gerade noch, wie sich am anderen Ende des Flurs eine Gestalt in die Küche schleppt. »Verschwinden Sie! Raus hier! Die Polizei ist jeden Moment da.« Ich flute mein Reich mit Licht. Unter Getöse geht die dunkle Gestalt mitsamt einem Stuhl zu Boden. Ich hole mir einen Kricketschläger vom Garderobenständer. Er liegt angenehm – tröstlich schwer – in der Hand. Im nächsten Augenblick bin ich schon, die Waffe fest an mich gepresst, in der Küche. »Verschwinden Sie aus meinem Haus!« Sein Gesicht ist dem Fliesenboden zugewandt. Als ich den Schläger erhebe, dreht er sich um, und ich erkenne meinen Mann.
Es ist mein Mann, wenn auch in einer Verfassung, in der ich ihn noch nie gesehen habe. Er weint, schluchzt, schnappt nach Luft; Schnodder läuft ihm in den Mund. Ich werfe das Handy auf den Tisch und lasse den Schläger fallen. »Paul, was ist los, um Himmels willen?«
Er bringt keine Antwort heraus. Als er so zu mir aufblickt, weicht meine Angst um mich selbst der viel größeren Sorge um ihn. Ich versuche, ihn aufzurichten, aber er hängt wie leblos in meinen Armen; zerknittert, gebeutelt, gebrochen, seine ganze Haltung ist dahin. Deshalb habe ich ihn von hinten auch nicht erkannt. Er ist wie ausgewechselt.
»Was ist passiert?«
Paul schlägt sich mit der Faust an die Schläfe und stöhnt. »Kate, Kate …«
»Was ist los, um Himmels willen?«
Schwankend kommt er auf die Knie. Der Autoschlüssel bleibt auf dem Boden liegen. Paul ist ein stattlicher Mann. Groß, mit kräftigen Händen und Schultern zum Anlehnen; nicht zuletzt deshalb habe ich mich vor all den Jahren in ihn verliebt. Bei ihm habe ich mich beschützt gefühlt.
»Hilf mir, Kate …«
An seinen Händen klebt Blut.
»Du blutest!«
Angewidert schaut er auf seine Hände. Er rappelt sich auf, kommt auf die Beine, und ich ziehe vorsichtig an seinem Mantel; irgendwo unter dem dicken Wollstoff muss eine Wunde sein. »Bist du verletzt?«
»Ich … ich … mein Gott, so weit ist es gekommen.«
»Wovon redest du?« Er schließt die Augen, schnieft, schwankt. »Was ist passiert?« Benommen schleppt er sich zur Gästetoilette und beginnt, sich die Hände zu waschen. Blutklümpchen und bräunliches Wasser wirbeln in den Abfluss. »Paul!«
Er wischt sein Gesicht an der Schulter trocken und nickt. »Ich habe sie getötet …«
Während er noch mit den Händen wedelt, um sie zu trocknen, versetze ich
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