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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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anderen kaum herausfinden konnte. »Mein Redakteur ist ein ungerechter Mensch«, hätte der Arme mit Schmock in Freytags »Journalisten« sagen dürfen, »er streicht alles Gewöhnliche und läßt mir nur die Brillanten stehen. Aber wie kann ich schreiben lauter Brillantes die Zeile für fünf Pfennige?« Es ist tröstlich zu erfahren, daß ihm schließlich ein Stammgast noch ein kleines Kapital vermachte, dessen Zinsen ihn für den Ausfall dessen entschädigt haben mag, was der »ungerechte Mensch«, der Redakteur, ihm gestrichen. Da war ferner der alte Pfuel, der General, der einst in seinen jungen Jahren der Freund und Stubengenoß von Heinrich von Kleist, dann in Wien lange Zeit mit Theodor Körner zusammen, dann, nach dem Einzug der Alliierten, Kommandant von Paris und zuletzt, im September 1848, Kriegsminister und Ministerpräsident in Berlin gewesen – jetzt, in seinem hohen Alter, ein Achtziger,das frisch gerötete Gesicht und die freie Stirn von weißem Haar umwallt wie von einer Mähne, liebenswürdig, heiter, gesprächig, immer noch jünglingshaft, wenn er von der Vergangenheit sprach, eine lebendige Chronik der Zeit. Da traf ich auch einige von den Männern wieder, die ich in London als politische Flüchtlinge kennengelernt an dem dürftigen Tische des Exils in St. Martin's Lane und die nun zurückgekehrt waren mit Beginn der »neuen Ära«. Damals, in dieser politischen Frühlingszeit, trat einmal ein Mann zu mir, den ich zuvor in Stehelys Konditorei nicht gesehen – ein angehender Fünfziger, kurz, stämmig, gedrungen, von behaglicher Figur, das Bild blühender Gesundheit und geistiger Kraft, mit braunen, sich kräuselndem Haar und hellen, graublauen Augen voll Glanz und gewinnender Freundlichkeit. »Ich bin der Auerbach«, sagte er, indem er mir seine Rechte entgegenstreckte. Wie ich sie mit beiden Händen drückte! Denn die Verehrung für Berthold Auerbach war eine von den Traditionen meines Elternhauses; schon auf der Schulbank hatte ich ein Gedicht an ihn gemacht. Aber er bemerkte sogleich und ich verhehlte ihm nicht, daß ich ihn mir ganz anders vorgestellt hatte. »Lassen Sie mich Ihnen erzählen«, rief er, »was der Unland gesagt hat. Der Auerbach ist ein klein's schwarz' Männle, hat er gesagt, aber er gleicht dene Würzburger Boxbeutelflaschen. Die sind auch klein und schwarz; aber es ist halt was drin.« Er lachte gutmütig, und ich lachte mit ihm und habe später gefunden, je mehr ich ihm freundschaftlich näherkam, daß das, was man Auerbachs Eitelkeit nannte, in seinen guten Jahren, den Jahren seines eigentlichen Schaffens, harmlos war wie die Freude eines Kindes. – So zieht ein ganzes Stück Vergangenheit, und kein geringes, an mir vorüber, wenn ich an Stehely denke. Hier ging es nicht feierlich her wie bei Spargnapani, wo jeder nicht nur seine Zeitung, sondernauch seine Ruhe haben wollte, um kein Wort zu verlieren: Hier bei Stehely vielmehr herrschte ein ungezwungenes Benehmen; die Bekannten fanden sich täglich an denselben Tischen zusammen, und die Meinungen wurden ausgetauscht. In allen Ereignissen, seitdem es in Berlin ein öffentliches Leben gab, hat Stehely seine Rolle gespielt, und das Schauspielhaus gegenüber war sehr aufmerksam auf das Urteil, das die Habitués dieser Konditorei fällten. Wie manchen bedeutenden Gespräches kann ich mich noch entsinnen aus dem Rauchzimmerchen, welches hinten hinaus lag, sein spärliches Licht vom Hofe empfing und stets mit einer dicken Luft erfüllt war, die nach Kaffee, Zeitungen und Tabak roch. Belletristik, mit Ausnahme des »Beobachters an der Spree«, den ich vor seinem Hinscheiden auch noch bei Stehely kennenlernte, kam niemals in diese Räume. Die politische Presse dagegen war ziemlich vollständig vertreten; doch auch das begehrteste Blatt immer nur in einem Exemplar, und ich erinnere mich, welche Sensation es machte, als es eines Tages hieß: »Bei Stehelys wird die ›National-Zeitung‹ in zwei Exemplaren gehalten!« Die beiden Brüder, Stepani geheißen, Inhaber des Geschäfts, der ältere brünett, untersetzt, von ernster, schweigsamer Gemütsart, der jüngere schlank, blond, munter und beide in lange weiße Schürzen gekleidet, gingen ab und zu, bedienten ihre Gäste und benutzten jeden Augenblick, um sich hinter den Ladentisch zurückzuziehen und ihre vaterländische Zeitung zu lesen, die im besten Romaunsch, der Sprache der Rhätischen Alpen, verfaßt war. Denn auch sie stammten aus dem Engadin; und der jüngere derselben

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