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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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Film.
    Arthur hatte Amy gelegentlich am Set besucht und war jedes Mal aufs Neue überrascht gewesen, welches Unbehagen diese Hollywoodleute bei ihm auslösten. Selbst die Crew kam ihm hyper-real und hyper-konstruiert vor: die Kameraführer zu muskulös, die Produktionsassistenten zu laut und neurotisch, und das Team für die Effekte – deren überaus verehrtes Mitglied Amy war – blickte viel zu wild drein und machte einen übergeschnappten Eindruck. Während die Crew darauf wartete, bis Szenen aufgebaut, Regisseure mit dem Kamerawinkel zufrieden, die Doubles richtig ausgeleuchtet und die Stars in der Maske waren, verdichtete sich die Luft und knisterte vor Erwartung. Arthur, der beobachtende Ehemann, verweilte dann an der Peripherie, dankbar für den Schutz, den seine Kamera ihm bot. Die Teleobjektivperspektive gewährte ihm Immunität vor der gemeinsamen Täuschung, die ein Filmset am Leben hält: der Überzeugung, dass alle Beteiligten etwas erschaffen, das auf irgendeine Weise real ist.
    Auch Ruby Falls wirkte wie eine von allen getragene Täuschung, bei der Arthur wieder immun außen vor blieb. Die Atmosphäre war zu dicht, um natürlich zu wirken: die Schatten zu tief, die Wolken berechnet, zu aufgebläht und von einem viel zu perfekten Schiefergrau. Der Wald neben der Straße, den er aus dem Fenster seines Taxis wahrnahm, wirkte auf aggressive Weise bukolisch. Das von einer einzigen roten Ampel an der einzigen Kreuzung verankerte Stadtzentrum wand sich um die unverzichtbare Stadtbar nebst Grillrestaurant, einen kleinen Lebensmittelmarkt und ein Postamt mit einer fotogen flatternden amerikanischen Flagge. Das war Mayberry. Das war Stars Hollow. Hier gab es sicher jähzornige Witwen, die kluge Mordfälle lösten. Er hatte das fremdartige Terrain von Los Angeles gegen eine Landschaft eingetauscht, die nicht weniger imaginär war – absolut unwirklich und unglaublich niedlich.
    Doch die Stadt war nichts im Vergleich zum Darby-Jones selbst. Das Haus ragte vier Stockwerke hoch, breit und weitläufig aus blättrigem Dunkel, eingebettet in den Wald wie das viktorianische Geisterhaus, das es vermutlich auch war. Arthur musste blinzeln, als der Taxifahrer vorfuhr. Drinnen ist nichts, sagte er sich: nur nacktes Holz und Ziernägel, die dafür sorgen, dass die prächtige bedrohliche Außenhülle stehen bleibt. Sämtliche Innenaufnahmen würde man in einem wesenlosen Betonkasten in Studio City oder Burbank drehen. Echte Menschen lebten nicht an Orten wie diesen, denn es gab keine echten Orte wie diese.
    Und hier war Amy aufgewachsen? Kein Wunder, dass sie an die Fantasiewelt glaubte.
    Über ihre Kindheit hatte Amy nur sehr wenig erzählt. Er wusste, dass sie Hunderte von Filmen gesehen hatte. Ihr Vater, der gestorben war, als sie noch sehr klein war, hatte sie in die Samstagnachmittagsvorstellung mitgenommen, zu Toho International Pictures, in Sindbads siebente Reise  – und zu den Werken ihres Idols Ray Harryhausen. Arthur wusste wohl, dass sie schon in frühester Kindheit davon geträumt hatte, Monster zu erschaffen, und bescheiden damit anfing – indem sie mit Ton und Zahnstochern modellierte –, ehe sie auf einem Flohmarkt einen Metallbaukasten fand und die Schönheit von Scharnier, Verbindungsstück und Elektrizität entdeckte, die sie eines Tages töten würde. Arthur hatte ihren Großvater kennengelernt, einen stillen Mann, der immer, selbst zu Shorts, grüne Hosenträger und Sockenhalter trug, als er – nur dieses eine Mal – nach Kalifornien zu Besuch kam. Er flog nach San Francisco und sie fuhren alle miteinander an diesem Tag nach Monterey, wo der alte Mann von jedem öffentlichen Platz, an dem sie vorbeikamen, überwältigt war. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er sich derart großen Menschenmengen ausgesetzt, und weil sie ihn verwirrten, verbrachte er die letzten beiden Tage in der Stadt in der Sicherheit seines Hotelzimmers, von wo aus er die PGA Open auf dem Fernseher verfolgte. Er hatte Amy großgezogen, nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, und starb selbst, kurz nachdem Amy und Arthur geheiratet hatten. Amy wollte nicht zu seiner Beerdigung in den Osten fliegen, mit der Begründung: Ihn kümmert das nicht. Er ist tot. Niemals hatte sie ihm irgendeinen Hinweis darauf gegeben, dass dieser Ort – dieses Ruby Falls , dessen Name allein schon unecht klang – eine Stadt, wie aus dem Bilderbuch war und nicht nur langweilig und deshalb für einen Besuch

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