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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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hatte die Oma Bleesiek, die jedes Jahr für vier Wochen herüberkam, ihre Kinder und die stetig wachsende Zahl ihrer Enkel zu besuchen, schon hatte sie, kaum angekommen, nach Hugo gefragt: »Ist er noch da, das Jüngelchen mit dem Ministrantengesicht, der schmale und so
    blasse, rotblonde, der immer so ernsthaft dreinblickt?« Hugo soll ihr beim Frühstück, während sie Honig schleckte, Milch trank und Spiegeleier nicht verschmähte, aus der Lokalzeitung vorlesen; verzückt blickte die Alte auf, wenn Straßennamen fielen, die ihr aus der Kinderzeit noch vertraut waren: Unfall am Ehrenfeldgürtel. Raubüberfall an der Friesenstraße. »So lange Zöpfe hab ich gehabt, als ich dort Rollschuh lief - so lang, mein Junge.« Zart war die Alte, zäh - kam sie nur Hugos wegen über den großen Ozean geflogen? »Wie?« sagte sie enttäuscht,
    »Hugo ist erst nach elf frei?«
    Mit mahnend erhobenen Händen stand der Busfahrer der Fluggesellscha ft in der Drehtür, während an der Kasse noch die Preise für komplizierte Frühstücke errechnet wurden; da saß der Kerl, der ein halbes Spiegelei verlangt hatte, empört aber die Rechnung zurückwies, auf der ihm ein ganzes berechnet worden war; noch empörter das Angebot des Geschäftsführers, ihm das halbe Spiegelei zu erlassen, zurückwies, eine neue Rechnung verlangte, auf der ihm ein halbes berechnet werden mußte. »Ich bestehe drauf.« Der reiste wohl nur um die Welt, um Belege vorweisen zu können, auf denen halbe Spiegeleier berechnet waren.
    »Ja«, sagte der Portier, »die erste Straße links, die zweite rechts, dann wieder die dritte links, und dann sehen gnädige Frau schon das Schild: Zu den römischen Kindergräbern.« Endlich konnte der Fahrer der Busgesellschaft seine Fahrgäste einsammeln, endlich schienen sämtliche Lehrerinnen auf den rechten Weg gebracht, sämtliche fetten Köter zum Pissen geführt. Aber immer noch schlief der Herr auf Zimmer elf, schlief schon seit sechzehn Stunden, hatte das Schild draußen an die Tür gehängt: Bitte nicht stören. Unheil, auf Zimmer elf oder im Billardzimmer; die Zeremonie inmitten des idiotischen Aufbruchsgewimmels: Schlüssel vom Brett nehmen, Berührung der Hand, Blick in das blasse Gesicht, auf die rote Narbe über
    dem Nasenbein, Hugos ›Wie immer?‹, sein Nicken: Billard von
    halb zehn bis elf. Aber noch hatte der interne Nachrichtendienst des Hotels nichts Unheilvolles oder Lasterhaftes berichten können: der spielte tatsächlich von halb zehn bis elf Billard, allein, nippte an seinem Cognac, am Wasserglas, rauchte, ließ sich von Hugo aus dessen Kindheit erzählen, erzählte Hugo aus seiner eigenen Kindheit, duldete sogar, daß Zimmermädchen oder Reinmachefrauen, auf dem Weg zum Wäscheaufzug, an der offenen Zimmertür stehenblieben, ihm zuschauten, blickte lächelnd vom Spiel auf. Nein, nein, der ist harmlos.
    Jochen humpelte aus dem Aufzug, hielt einen Brief in der Hand, den er jetzt kopfschüttelnd hochhob. Jochen, der hoch oben unter dem Taubenschlag hauste, neben seinen gefiederten Freunden, die ihm Botschaften aus Paris und Rom, Warschau und Kopenhagen brachten; Jochen in seiner Phantasieuniform, die etwas zwischen Kronprinz und Unteroffizier darstellte, war kaum zu klassifizieren: ein bißchen Faktotum und ein bißchen graue Eminenz, Vertrauter von allen, vertraut mit allem, nicht Portier und nicht Kellner, weder Geschäftsführer noch Hausdiener, und doch, von allem, sogar vom Kochen verstand er etwas; von ihm stammte das geflügelte Wort, immer dann ausgesprochen, wenn moralische Bedenken gegen Gäste laut wurden: »Was würde uns der Ruf der Diskretion nützen, wenn die Moral intakt wäre - was nützt Diskretion, wenn es nichts mehr gibt, das diskret behandelt werden muß?«; etwas Beichtvater, etwas Geheimsekretär, etwas Zuhälter; Jochen, mit rheumagekrümmten Fingern, öffnet grinsend den Brief.
    »Die zehn Mark hättest du sparen können, ich hätte dir tausendmal mehr - und unentgeltlich - erzählen können als dieser kleine Schwindler hier. Auskunftsbüro Argus. ›Anbei die gewünschte Auskunft über Herrn Architekten Dr. Robert Fähmel, wohnhaft Modestgasse 8. Dr. Fähmel ist zweiundvierzig Jahre alt, verwitwet, zwei Kinder. Sohn: 22, Architekt, nicht hier wohnhaft. Tochter: 19, Schülerin.
    Vermögen des Dr. F: erheblich. Mütterlicherseits mit den Kilbs
    verwand t. Nichts Nachteiliges zu erfahren.« Jochen kicherte:
    »Nichts Nachteiliges zu erfahren! Als ob über den jungen Fähmel je etwas

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