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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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fuchtelte mit der Zigarre in der Luft, »hier hab ich meinem Schwiegervater das Testament diktiert, am Abend, bevor ich ausrücken mußte; ich diktierte es, während der Junge da oben
    schlief; er begleitete mich am nächsten Morgen noch zur Bahn,
    küßte meine Wange - Mund eines siebenjährigen Kindes -, aber niemand, Leonore, niemand nahm je meine Geschenke an, alle fielen sie an mich zurück: Güter und Bankkonten, Renten und Mietzins. Ich konnte nie schenken, nur meine Frau konnte es, und ihre Geschenke wurden angenommen - und wenn ich neben ihr lag, nachts, hörte ich sie oft murmeln, lange, sanft wie Wasser floß es aus ihrem Mund, stundenlang: wozuwozuwozu...«
    Wieder weinte der Alte, diesmal in Uniform, Pionierhauptmann der Reserve, Geheimer Rat, Heinrich Fähmel, auf Sonderurlaub, um seinen siebenjährigen Sohn zu begraben; die Kilbsche Gruft nahm den weißen Sarg auf: dunkles feuchtes Gemäuer und frisch wie Sonnenstrahlen die goldenen Ziffern, die das Todesjahr auswiesen: 1917. Robert, in schwarzem Samt gekleidet, wartete in der Kutsche draußen...
    Leonore ließ die Briefmarke, violett diese, fallen; sie getraute sich nicht, den Brief an Schrit zu frankieren; ungeduldig schnaubten die Kutschpferde vor dem Friedhofstor, während Robert Fähmel, zwei Jahre alt, die Zügel halten durfte: schwarzes Leder, brüchig an den Rändern, und das frische Gold der Ziffer 1917 glänzte heller als Sonnenschein...
    »Was treibt er, was macht er, mein Sohn, der einzige, der mir blieb, Leonore? Was macht er morgens von halb zehn bis elf im Prinz Heinrich; er durfte zusehen, wie den Pferden der Futtersack vorgebunden wurde - was treibt er? Sagen Sie's mir doch, Leonore!«
    Zögernd nahm sie die violette Marke auf, sagte leise: »Ich weiß nicht, was er dort tut, wirklich nicht.«
    Der Alte nahm die Zigarre in den Mund, lehnte sich lächelnd im Sessel zurück - als wäre nichts gewesen. »Was halten Sie davon, wenn ich Sie fest für die Nachmittage engagiere? Ich hole Sie ab. Wir würden mittags miteinander essen, und von zwei bis vier, oder bis fünf, wenn Sie wollen, helfen Sie mir, bei
    mir da oben Ordnung zu machen. Was halten Sie davon, liebes Kind?«
    Sie nickte, sagte: »Ja.« Noch traute sie sich nicht, den violetten Heuss übers Schwämmchen zu ziehen, ihn auf den Umschlag an Schrit zu kleben: ein Postbeamter würde den Brief aus dem Kasten nehmen, die Maschine würde stempeln: 6. September 1958, 13 Uhr. Da saß der Alte, er war wieder am Ende seines achten, am Anfang seines neunten Jahrzehnts angekommen.
    »Ja, ja«, sagte sie.
    »Ich darf Sie also als engagiert betrachten?«
    »Ja.«
    Sie blickte in sein schmales Gesicht, in dem sie seit Jahren vergeblich Ähnlichkeit mit seinem Sohn suchte; nur Höflichkeit schien eine verbindende Fähmelsche Familieneigenschaft zu sein; bei dem Alten war sie umständlicher, verziert, war Höflichkeit alten Schlags, fast Grandezza, nicht höfliche Mathematik wie bei seinem Sohn, der Trockenheit kultivierte, nur im Schimmer seiner grauen Augen ahnen ließ, daß er zu weniger trockenen Liebenswürdigkeiten fähig gewesen wäre. Der Alte benutzte sein Taschentuch wirklich, kaute an seiner Zigarre, sagte ihr manchmal Nettigkeiten über ihre Frisur, ihren Teint; sein Anzug zeigte wenigstens Spuren von Verschleiß, die Krawatte war immer etwas schief gebunden, Tuscheflecken hatte er an den Fingern, Radierkrümel auf den Rockaufschlägen, Bleistifte, harte und weiche, in der Westentasche, und manchmal nahm er ein Blatt Papier aus dem Schreibtisch seines Sohnes, kritzelte rasch einen Engel hin, ein Gotteslamm, einen Baum, das Porträt eines draußen vorübereilenden Zeitgenossen. Manchmal auch gab er ihr Geld, Kuchen zu holen, bat sie, eine zweite Kaffeetasse anzuschaffen, und machte sie glücklich, weil sie den elektrischen Kocher endlich für jemand anderen als sich selbst einstöpseln konnte. Das war Büroleben, wie sie's gewohnt
    war: Kaffee kochen, Kuchen kaufen und was erzählt bekommen, das seine richtige Reihenfolge hatte: von den Leben, die da hinten im Wohnflügel gelebt, von den Toden, die da gestorben worden waren. Jahrhundertelang hatten die Kilbs dort hinten Laster und Licht gesucht, Sünde und Heil, waren Kämmerer, Notare, Bürgermeister und Domherren geworden; dort hinten war noch etwas von den strengen Gebeten späterer Prälaten in der Luft; die düsteren Laster jungfräulich gebliebener Kilbinnen und die Bußübungen frommer Jünglinge, in diesem dunklen Haus da

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