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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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meinen Kindern das Kissatal hinauf; die Jungen versuchten Forellen zu fangen;
    Waldstücken wanderten wir dahin, tranken Bier und Limonade im Denklinger Bahnhof - und wußte doch, daß ich vor einer Stunde erst die Zeichnung abgegeben, die Quittung empfangen hatte; noch umgab mich Einsamkeit wie ein riesiger Rettungsring, noch schwamm ich auf der Zeit dahin, versank in Wellentälern, überquerte die Ozeane Vergangenheit und Gegenwart und drang, durch Einsamkeit vorm Versinken gesichert, tief in die eisige Kälte der Zukunft, hatte als eiserne Ration mein Lachen mit, von dem ich nur sparsam kostete - rieb mir die Augen, wenn ich auftauchte, trank ein Glas Wasser, aß ein Stück Brot und trat mit meiner Zigarre ans Fenster: dort drüben wandelte sie im Dachgarten, wurde manchmal in einer Lücke der Pergola sichtbar, blickte von der Brüstung auf die Straße hinab, in der sie sah, was auch ich sah: Lehrjungen, Lastwagen, Nonnen, Leben auf der Straße; sie war neunzehn, hieß Johanna, las Kabale und Liebe; ich kannte ihren Vater, den dröhnenden Baß im Sängerbund, dessen Klang mir nicht zur Rechtschaffenheit des Büros zu passen schien; das klang nicht nach Diskretion, wie sie den Lehrjungen eingebleut wurde; die Stimme war geeignet, jemand das Gruseln beizubringen, klang nach heimlicher Sünde. Wußte er schon, daß ich seine einzige Tochter heiraten würde? Daß wir an stillen Nachmittagen hin und wieder ein Lächeln tauschten? Ich schon an sie dachte mit der Heftigkeit des rechtmäßigen Bräutigams? Sie hatte schwarze Haare, war blaß, und ich würde ihr verbieten, resedafarbene Kleider zu tragen; grün würde ihr gut stehen; ich hatte die Kleider, die Hüte für sie schon ausgesucht auf meinen Nachmittagspaziergängen, im Schaufenster von Hermine Horuschka, an dem ich jeden Abend in Regen und Wind und im Sonnenschein und zwanzig vor fünf vorbeikam; ich würde sie aus dieser Biederkeit, die nicht zur Stimme ihres Vaters paßte, erlösen und ihr herrliche Hüte kaufen, so groß wie Wagenräder, aus derbem grüngefärbten Stroh; ich wollte nicht ihr Gebieter sein, ich wollte sie lieben, und ich würde nicht mehr lange
    warten. Sonntags morgens, mit Blumen bewaffnet, würde ich in der Kutsche vorfahren, so gegen halb zwölf, wenn man nach dem Hochamt das Frühstück beendet hatte, gerade im Herrenzimmer einen Schnaps trank: Ich bitte Sie um die Hand Ihrer Tochter. Jeden Nachmittag, wenn ich aus den Ozeanen auftauchte, zeigte ich mich ihr, hier im Atelierfenster, verneigte mich, wir tauschten ein Lächeln, und ich trat wieder ins Dunkel zurück; trat auch vor, um ihr den Glauben zu nehmen, daß sie unbeobachtet sei; ich brachte es nicht fertig, wie eine Spinne im Netz dazuhocken; ich ertrug es nicht, sie zu sehen, ohne von ihr gesehen zu werden; es gab Dinge, die man nicht tat. Morgen würde sie wissen, wer ich war. Skandal. Sie würde lachen, würde mir ein Jahr später schon die Mörtelspuren vom Hosenbein bürsten; würde es noch tun, wenn ich vierzig, fünfzig, sechzig war; und sie würde eine reizende alte Frau an meiner Seite sein; ich beschloß es end gültig, am 30. September 1907, nachmittags gegen halb vier.«
    »Ja, Leonore, bezahlen Sie das für mich; nehmen Sie Geld aus meiner Kassette da drüben, und geben Sie dem Mädchen zwei Mark Trinkgeld, ja, zwei Mark; Pullover und ein Rock von Hermine Horuschka für meine Enkelin Ruth, die ich heute zurückerwartet habe; Grün steht ihr gut; schade, daß die jungen Mädchen heute keine Hüte mehr tragen; ich habe immer so gern Hüte gekauft. Das Taxi ist bestellt? Danke, Leonore. Sie wollen noch nicht Schluß machen? Wie Sie wollen; natürlich, ein bißchen ist es auch Neugierde, nicht wahr? - Sie brauchen nicht rot zu werden. Ja, einen Kaffee gern noch. Ich hätte mich erkundigen müssen, wann die Ferien zu Ende sind; aber Ruth ist zurück? Mein Sohn hat Ihnen nichts gesagt? Er wird doch die Einladung zu meiner Geburtstagsfeier nicht vergessen haben? Ich habe angeordnet, daß der Portier unten Blumen und Telegramme, Geschenke und Karten annimmt, jedem Boten zwei Mark Trinkgeld gibt und sagt, ich sei verreist; suchen Sie sich den schönsten Strauß, oder zwei, wenn Sie mögen, heraus,
    und nehmen Sie die mit nach Hause, und wenn es Ihnen Spaß macht, verbringen Sie getrost Ihren Nachmittag hier.« Die Tasse, mit Kaffee frisch gefüllt, bebte nicht mehr; offenbar hatte man aufgehört, Erbauliches oder Wahlplakate auf weißes Papier zu drucken; im Wechselrahmen das

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