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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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verbat; doch ich bestand darauf und setzte es durch; erschrak, als ich Johanna in der Totenmesse flüstern hörte: ›Christus.‹ Ich sprach den Namen nie aus, wagte kaum, ihn zu denken, und wußte doch: er hatte mich; nicht Domgreves Rosenkranz, nicht die säuerlichen Tugenden heiratslustiger Wirtstöchter, nicht die Geschäfte mit Beichtstühlen aus dem sechzehnten Jahrhundert, die auf geheimen Auktionen für teures Gold verkauft wurden, das Domgreve in Locarno in billige Sünden zurückverwandelte; nicht die düsteren Verfehlungen heuchlerischer Priester, deren Augenzeuge ich wurde: ärmliche Verführungen gefallener Mädchen; auch nicht Vaters unausgesprochene Härte hatte das
    Wort in mir töten können, das Johanna neben mir flüsterte:
    ›Christus‹; nicht die endlosen Fahrten durch Windkanäle uralter Bitterkeit und Vergeblichkeit; wenn ich auf den eisigen Ozeanen
    der Zukunft, Einsamkeit wie einen riesigen Rettungsring um mich herum, mich mit meinem Lachen stärkte; das Wort war nicht getötet worden; ich war David, der Kleine mit der Schleuder, und Daniel, der Kleine in der Löwengrube, und bereit, das Unvorhergesehene, das ich begehrt hatte, hinzunehmen: Johannas Tod am 3. September 1909. Auch an diesem Morgen ritten die Ulanen übers Kopfsteinpflaster; Milchmädchen, Bäckerjungen, Kleriker mit flatternden Rockschößen; Morgen; der Keiler vor Gretzens Laden, die schmutzige Melancholie des Kilbschen Hausarztes, der seit vierzig Jahren Kilbsche Geburten und Tode bescheinigte: in dieser ausgebeutelten Ledertasche das nutzlose Instrumentarium, mit dem er immer wieder über die Vergeblichkeit seiner Bemühungen hinwegzutäuschen verstand; er deckte den entstellten Körper zu, aber ich deckte ihn wieder auf; ich wollte Lazarus Körper sehen, die Augen meines Vaters, die dieses Kind nicht länger als eineinhalb Jahre hatte offenhalten wollen, und im Schlafzimmer nebenan schrie Heinrich; die Glocken von Severin schlugen die Zeit in Scherben, läuteten um neun zur Messe; fünfzig Jahre wäre Johanna jetzt alt.
    »Kriegsanleihen, Leonore? Die habe ich nicht gezeichnet; sie stammen aus dem Erbe meines Schwiegervaters. Ins Feuer damit, wie mit den Geldscheinen; zwei Orden? Natürlich, ich habe ja Sappen gebaut, Stollen vorgetrieben, Artilleriestellungen befestigt, dem Trommelfeuer standgehalten, Verwundete aus dem Feuer geschleppt; zweiter Klasse, erster Klasse, her mit den Dingern, Leonore, komm, gib sie schon her: wir werfen sie in die Regenrinne; sollen sie in der Regenrinne im Schlamm begraben werden. Otto kramte sie einmal aus dem Schrank heraus, während ich am Zeichentisch stand; ich sah den
    verhängnisvollen Schimmer in seinen Augen zu spät: er hatte sie gesehen, und die Ehrfurcht, die er mir zollte, bekam eine größere Dimension; zu spät. Aber schmeiß sie wenigstens jetzt weg, damit Joseph sie nicht eines Tages in meiner Erbschaft entdeckt.«
    Es klirrte nur leise, als er die Orden über das schräge Dach in die Regenrinne gleiten ließ; sie kippten, als sie vom Dach in die Rinne fielen, lagen mit der glanzlosen Seite nach oben.
    »Warum so entsetzt, Kind? Sie gehören mir, und ich kann damit machen, was ich will; zu spät, aber vielleicht doch noch rechtzeitig. Vertrauen wir darauf, daß es bald regnet und der Dreck vom Dach heruntergespült wird; spät opfere ich sie dem Andenken meines Vaters. Hinab mit der Ehre der Väter, der Großväter und Urgroßväter.«
    Ich fühlte mich stark genug und war's nicht, las die Algebra der Zukunft aus meinen Formeln, die sich zu Figuren auflösten; Äbte und Erzbischöfe, Generale und Kellner, sie gehörten alle zu meiner Komparserie; ich allein war Solist, auch wenn ich freitags abends im ›Sängerbund Deutscher Kehlen‹ den Mund öffnete und im Chor mitsang: Was glänzt dort am Walde im Sonnenschein'? Ich sang es gut, hatte es bei meinem Vater gelernt, übte meine baritonale Lautmalerei mit unterdrücktem Lachen aus; der Dirigent, der den Taktstock schwang, ahnte nicht, daß er meinem Taktstock gehorchte; und sie luden mich zur obligatorischen Geselligkeit ein, boten mir Aufträge an, schlugen mich lachend auf die Schulter: ›Geselligkeit, junger Freund, ist des Lebens eigentliche Würze.‹ Grauhaarige Kollegen fragten säuerlich nach Woher und Wohin, aber ich sang nur: Tom, der Reimer, von halb acht bis zehn, keine Minute drüber. Der Mythos sollte fertig sein, bevor der Skandal käme. Blumenkohl ist nicht verderblich.
    Ich wanderte mit meiner Frau und

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