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082 - Die Zeit der Zwerge

082 - Die Zeit der Zwerge

Titel: 082 - Die Zeit der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenkiller
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Gegenwart
    Tirso Aranaz war mit ein Meter vierzig für einen viereinhalbjährigen Jungen ungewöhnlich groß. Aber er war kein gewöhnlicher Junge.
    „Tirso, versuch es noch mal!" sagte die Stimme Hideyoshi Hojos drängend.
    „Ich strenge mich ja an, Yoshi", beteuerte Tirso.
    Er hörte das Atmen der anderen, die er nicht sehen konnte, weil nur der Tisch, das dicke Buch darauf, und die Kerze angestrahlt wurden.
    Tirso wußte, daß Dorian, Coco, Ira, Abi und Don in der Dunkelheit darauf warteten, daß er ihnen sein Kunststück zeigte. Sie waren nur seinetwegen gekommen; und jetzt versagte er. Er durfte sie nicht enttäuschen. Sie warteten bereits seit einem halben Jahr darauf, daß er ihnen endlich zeigte, was er konnte.
    Tirso wußte, daß er besondere Fähigkeiten besaß. Aber er hatte Angst; es war eine tief in seinem Unterbewußtsein verwurzelte Angst, die ihn daran hinderte, seine Fähigkeiten zu gebrauchen. Nur zu gut erinnerte er sich noch daran, was er - vor einem halben Jahr - angestellt hatte. Es kam ihm vor wie ein Alptraum - doch es war Wirklichkeit gewesen. Er hätte Dorian damals beinahe getötet, als er ihn zwang, sich den Lauf eines Gewehres in den Mund zu stecken. Und bald darauf hatte das ganze Tal in Flammen gestanden, und er - Tirso - hatte es in Brand gesteckt.
    Er fürchtete das Feuer, wollte nicht noch einmal eine solche Katastrophe verursachen.
    Tirso zitterte. Der Schweiß brach ihm aus.
    „Laß ihn, Yoshi! Du siehst, daß es über seine Kräfte geht", sagte eine weibliche Stimme.
    Tirso erkannte die Stimme von Coco.
    „Er soll es noch einmal versuchen", sagte Hideyoshi Hojo. „Willst du, Tirso? Noch ein Versuch, ja?"
    Tirso nickte.
    „Wiederhole vielleicht zuerst noch einmal das Im-Buch-Blättern!" schlug Virgil Fenton, Tirsos Lehrer, vor. „Dann erst versuche das andere!"
    „Gut!"
    Tirso konzentrierte sich mit seinem einen Auge auf das Buch. Wie gesagt, er war anders als andere Jungen - auch rein äußerlich. Er hatte eine blaue Haut, kein einziges Härchen am ganzen Körper, und über seiner Nasenwurzel befand sich nur ein großes Auge. Damit starrte er angestrengt auf das Buch am anderen Ende des Raumes, das zusammen mit der Kerze von einem Scheinwerfer angestrahlt wurde.
    Langsam hob sich der Buchdeckel wie von Geisterhand bewegt; dann wurde ein Blatt nach dem anderen umgeschlagen. Das kostete Tirso überhaupt keine Mühe. Er konnte auch schwerere Gegenstände allein durch den Blick seines Zyklopenauges durch die Luft bewegen.
    Das machte ihm Spaß. Erst vorgestern hatte er Burkhard Kramer, dem „zerstreuten Professor", wie er ihn nannte, einen ordentlichen Schreck eingejagt, als er durch seinen Blick die Kiefer eines Totenschädels, an dem Burke gerade Messungen vorgenommen hatte, aufeinanklappen ließ.
    Tirso konzentrierte sich jetzt auf die Kerze; und automatisch sah er das in Flammen stehende Baztän-Tal vor sich. Ihn fröstelte. Er versuchte, die schrecklichen Erinnerungen zu ignorieren. Und auf einmal brannte die Kerze.
    Tirso schrie erschrocken auf. Er war über sich selbst entsetzt, weil es ihn auf einmal keine Mühe mehr gekostet hatte, die Kerze mit seinem Blick anzuzünden.
    Die Lichter gingen an. Alle applaudierten.
    Coco kam zu ihm und küßte ihn auf die schweißnasse Stirn.
    „Jetzt hast du dir eine Pause verdient, Tirso", sagte sie lächelnd. „Du warst großartig."
    Aber ihre grünen Augen sagten ihm, daß sie das nicht ehrlich meinte.
    „Du hast es gar nicht großartig gefunden, stimmt's?" fragte Tirso geradeheraus.
    Sie drückte ihn kurz an sich.
    „Doch, doch", versicherte sie. „Aber ich war mit den Gedanken woanders. Dir kann man halt nichts vormachen."
    „Hast du an Dorian junior gedacht?" fragte Tirso. „Wann bringst du ihn her? Er wäre in Basajaun sicherer als sonstwo. Ich würde mich freuen…"
    Aber bevor ihm Coco eine Antwort geben konnte, waren die anderen heran und machten ein Theater, als hätte er die Erde angehalten. Dabei hatte er nur eine Kerze angezündet.
    Der Puppenmann Donald Chapman, der auch während der Krise, die Tirso nach der Katastrophe im Baztän-Tal durchgemacht hatte, nicht von seiner Seite gewichen war, kletterte zu ihm auf dem Schoß.
    „Das hast du prima gemacht, Tirso", sagte Don.
    Er legte seine winzige Hand in Tirsos blaue und versuchte einen Händedruck. Das war so komisch, daß Tirso lachen mußte. Die anderen waren erleichtert. Tirso schien das Experiment ohne psychischen Schaden überstanden zu haben. Sie

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