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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Hamsterrad dreht sich im Tempo einer schleudernden Waschmaschine, so schnell, dass die Bewegung unsichtbar wird. Nur das Schleudergefühl bleibt.
    Früher schauten die Menschen, ohne zu gehen; das nannte sich Muße. Heute rennen sie, ohne zu schauen; das nennt sich Stress. Wasserfallartig stürzen die Sinneseindrücke und Informationen auf sie ein. Niemand kann das geistige Futter mehr verdauen. Die Beschaulichkeit kommt abhanden, eine Entwicklung, die der weitsichtige Philosoph Friedrich Nietzsche schon 1878 heraufdämmern sah:
    »Aus Mangel an Ruhe läuft unsere Zivilisation in eine neue Barbarei aus. Zu keiner Zeit haben die Tätigen, das heißt die Ruhelosen, mehr gegolten. Es gehört deshalb zu den notwendigen Korrekturen, welche man am Charakter der Menschheit vornehmen muss, das beschauliche Element in großem Maße zu verstärken.« [146]
    Wer den Weg zur großen, also zur inneren Freiheit einschlagen will, muss erst mal stehen bleiben, um auf sein Leben und tief in sein Herz zu schauen: Führt er sein Leben, wie er es führen will? Oder führt sein Leben ihn, nach äußeren Maßstäben?
    Schon die Sprache ist verräterisch: »Ich muss das noch fertig bekommen!«, sagte die Kauffrau. »Ich muss diese Zusatzqualifikation erwerben«, sagt der Ingenieur. »Ich muss mich um die Kinder kümmern«, sagt die Mutter. »Ich muss jetzt eine Runde laufen«, sagt der Jogger.
    Das Zeitalter der angeblichen Selbstbestimmung wird geprägt vom Imperativ der Sklaverei: »Ich muss!« Was sich als Freiwilligkeit tarnt, als Engagement und Eifer, wird oft vom äußeren und inneren Zwang geleitet. Dabei hat schon Gotthold Ephraim Lessing in seinem »Nathan« geschrieben: »Kein Mensch muss müssen.«
    Der Weg zur Freiheit führt über das sprachliche Gegenstück: »Ich will!«. Wer herausfindet, was er will, kann seinen eigenen Weg einschlagen. Er lernt, sich abzugrenzen gegen falsches Leben, gegen Überforderung und Manipulation.
    Im Coaching frage ich gern: »Was erwartet Ihr Chef von Ihnen? Was die Firma? Was die Kollegen?« Auf jede dieser Fragen bekomme ich in Windeseile Antwort. Dann will ich wissen: »Und was wollen Sie selbst, wenn Sie diese ganzen Anforderungen von außen einmal abziehen?« Die Antwort ist häufig: tiefe Ratlosigkeit.
    In den Menschen ist ein Vakuum entstanden, vom fortwährenden Leistungsdruck gepresst, ein Vakuum an Sinn, das sie verzweifelt mit Hyperaktivität füllen, sogar in ihrer Freizeit. Sie springen von Brücken, bestenfalls mit Bungee-Seil, zischen mit ihren Kajaks durch wilde Flüsse, brausen mit dem Wohnmobil in drei Wochen über Kontinente und treiben in der Firma die Projekte vor sich her wie der Tsunami die Welle.
    Doch während sie meinen, auf dem Höhepunkt ihrer Aktivität zu sein, treiben sie passiv im gurgelnden Strom der Zeit. Während sie meinen, sich selbst zu verwirklichen, verwechseln sie nur den äußeren Anspruch mit ihrem inneren. Statt eigen-sinnig zu sein, tragen sie eine angenagelte Sinn-Prothese.
    Der Weg zur großen Freiheit führt nach innen, und ein unbestechliches Instrument weist ihn: die Intuition. Sie ist wie die Warnlampe eines Autos, die anspringt, wenn das Öl ausgeht. Der Fahrer bekommt ein Signal, damit er nicht liegenbleibt. In solchen Fällen steuert man die Tankstelle an – und füllt Öl nach.
    Aber was passiert, wenn die Warnlampe der Intuition aufleuchtet, weil jemand im Berufsleben kurz vorm Liegenbleiben ist? Die meisten Menschen bringen ihr Leben nicht zur Inspektion, füllen keine Ressourcen nach. Sie fahren einfach weiter. Bis zum seelischen Totalschaden. Es lohnt sich, besser auf die Intuition zu hören.
    Sie meldet sich zuverlässig, wenn jemand gegen seine Bestimmung lebt, wenn er einem »Ich muss« folgt. Zum Beispiel beriet ich einen Informatiker, der mir erzählte, er komme morgens immer erst in letzter Sekunde zur Arbeit. Als Grund gab er an, er schlafe gerne lang. Doch auf Nachfrage räumte er ein, als Student nie Probleme mit dem Aufstehen gehabt zu haben. Und auch an den Wochenenden fiel es ihm leicht, für seine Hobbys aus dem Bett zu kommen.
    Sein Arbeitstag war zum Zerbersten mit Arbeit gefüllt. Die Anrufe bei ihm waren Hilferufe der Computernutzer, seine Abteilung völlig unterbesetzt. Er musste als Feuerwehr ausrücken, um Probleme zu beheben, die mit den Computersystemen zusammenhingen. Aber diese Systeme zu verändern und zu erneuern, dazu fehlten ihm die Zeit und die Rückendeckung der Geschäftsleitung. So schuftete er bis in die

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