Bin ich hier der Depp
wenn der Mond am Himmel steht?
Vor allem werden Sie auch sehen, in welchem Zustand die Mitarbeiter das Gebäude verlassen, ob sie mit hängenden Schultern gehen, jeder für sich allein, wie es nach einem langen Hamsterrad-Tag oft der Fall ist, oder ob fröhlich plaudernde Grüppchen dem Gebäude entspringen.
Sollten Sie bei diesem Anblick noch unsicher sein, dann steigen Sie in einen Bus oder eine Straßenbahn, die zur Feierabendzeit in der Nähe der Firma abfährt. Die Gespräche der Mitarbeiter, die Sie dort mithören können, werden Ihnen verraten, ob hier Glückliche oder Geschundene sprechen.
Spion im Netz
Recherchieren Sie auf Homepages, wo Mitarbeiter ihre Arbeitgeber bewerten und entlarven können, so www.kununu.com. Ebenso lohnt es sich, in sozialen Netzwerken wie Xing nach einem Ex-Mitarbeiter der Firma zu suchen. Schreiben Sie ihm, dass Sie sich bei seiner Ex-Firma beworben haben und sich über ein kurzes Telefonat freuen würden. In diesem Gespräch können Sie zum Beispiel folgende Fragen stellen:
Wie lange haben Sie in der Firma im Durchschnitt gearbeitet?
Wie hoch würden Sie den Arbeitsdruck auf einer Skala von eins (für niedrig) bis zehn (für hoch) definieren?
Gab es Burn-out-Fälle? Wie erklären Sie diese?
Wird von Mitarbeitern erwartet, auch über den Feierabend hinaus noch erreichbar zu sein?
Kann man in dieser Firma Karriere machen, wenn man sich an seine vertraglichen Arbeitszeiten hält?
Würden Sie in der Firma noch einmal anfangen? Warum (nicht)?
All diese Puzzle-Steine, beginnend mit der Stellenausschreibung, werden sich zu einem Bild zusammenfügen. Vielleicht handelt es sich um eine Firma mit menschlicher Kultur. Vielleicht aber auch um eine Tretmühle. Dann wissen Sie, was zu tun ist!
Wie es kommt, dass wir eine Hamsterrad-Gesellschaft geworden sind, und warum es lohnt, sich zu entschleunigen, davon handelt das nächste Kapitel.
Ein Lob der Langsamkeit
Der Strom der Zeit plätschert nicht mehr, er gurgelt und zischt, er reißt Menschen wie Treibholz mit sich. Der Weg zur großen Freiheit ist ein Weg, der gegen diesen Strom führt, zur Langsamkeit und zum Innehalten.
Dass die Erschöpfung um sich greift, hat vor allem zwei Ursachen. Zum einen leben wir in einem Rhythmus, der nicht mehr bestimmt wird von Spannung und Entspannung, sondern von Spannung und Spannung. Dass dem Arbeitstag die erholsame Nacht folgte (in der vor Erfindung des künstlichen Lichts kaum gearbeitet werden konnte), dem arbeitsreichen Sommer der arbeitsarme Winter, der anstrengenden Ernte das ausgelassene Erntefest: Solche Bräuche hat der Strom der Zeit gnadenlos weggespült.
Wer eine Aufgabe bewältigt hat, vor dem türmt sich schon die nächste auf, noch höher. Er sehnt sich danach, einmal »abzuschalten«. Dieser Begriff stammt nicht zufällig aus der Maschinensprache. Doch Menschen verfügen über keine Aus-Knöpfe. Die Arbeit läuft immer weiter, im Kopf. Und ein Körper voller Stresshormone, der diese nicht abbaut, macht auch den Geist auf Dauer krank.
Der zweite Grund für die Erschöpfung: So mancher eifert Idealen nach, die seine eigenen gar nicht sind. Denn was wirklich zählt, hat mit den Einflüsterungen nichts zu tun: nichts mit einem Millionengehalt, denn ab 60 000 Euro im Jahr wächst das empfundene Glück eines Menschen nicht mehr [142] ; nichts mit »Mein Haus, mein Auto, mein Boot«, denn die Ideale der Werbung zielen nicht auf die Herzen, nur auf die Geldbeutel; und erst recht nichts zu tun hat es mit der Leistung eines Menschen, denn die kostbarste Zeit eines Lebens ist keine Um-zu-Zeit, sondern eine Nicht-zu-Zeit, um diese Begriffe des Philosophen Martin Heidegger zu verwenden. [143]
Die Nicht-zu-Zeit: eine Zeit, die keinem Zweck dient. Eine Zeit, die nicht gegen Stundenlohn verkauft, nicht mit Aktivität gefüllt, nicht durch Nutzung zum Nutzungsgegenstand gemacht wird. Eine Zeit, in der uns dämmern könnte, dass nicht sie vergeht, sondern wir. Wer kennt sie noch, diese Zeit?
Nicht die sechs Tage gelten als heilig, an denen der Schöpfer schuf, sondern der eine Tag, an dem er ruhte. Wer seinen Wert nur aus der Arbeit bezieht, macht sich selbst zum Arbeitsesel. Bedeutend ist nicht der Esel – man kann ihn austauschen! –, sondern der von ihm gezogene Karren. Und geschätzt wird der Esel nicht seiner selbst, sondern nur seiner Arbeit wegen. Ein Lasttier hängt ab vom Wohlwollen seines Besitzers. Sobald es zusammenbricht, verliert es seinen Wert.
Der Soziologe Alain Ehrenberg
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