Bindung und Sucht
Vorwort
Am 15. und 16. Oktober 2011 wurde an der Poli- und Kinderklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München von der Abteilung Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie eine internationale Konferenz mit dem Titel Bindung und Sucht (Attachment and Addiction) durchgeführt. Das Interesse an dieser Konferenz und die positiven Rückmeldungen waren für die Veranstalter außerordentlich ermutigend, so dass sie die Beiträge dieser Veranstaltung mit der Herausgabe dieses Buches einer größeren Leserschaft zugänglich machen möchten.
Die Thematik des vorliegenden Konferenzbandes umfasst eine Vielzahl von Aspekten aus dem Bereich »Bindung und Sucht«:
Wie kommt es, dass so verschiedene Substanzen wie Alkohol, Drogen, Medikamente, Nahrungsmittel, aber auch Verhaltensweisen wie Hungern, das Spiel mit Videospielen und Computerkonsolen oder die Nutzung von Geldspielautomaten, Arbeiten und Beziehungen Menschen süchtig machen können? Wie Studien zeigen, beginnt die Sucht oft damit, dass großer Stress, wie er etwa durch schwierige psychische Entwicklungsbedingungen, traumatische Erfahrungen, unlösbare Konfliktsituationen und Ähnliches entstehen kann, nicht mehr gelöst werden kann. Versuchsweise – oft eher zufällig und als »Notlösung« – wird gegen den Stress ein Suchtmittel eingesetzt, statt eine Bindungsperson zu rufen, um mit ihrer Hilfe den Stress unter Kontrolle zu bekommen oder abzubauen.
Dies ist erstaunlich, denn normalerweise würde sich ein Mensch, wenn er in Angst und Stress überfordert ist, mit der Bitte um Hilfe an seine Bindungsperson wenden. Wenn diese aber nicht zur Verfügung steht oder vielleicht im Zusammenhang früher Defizite und deprivatorischer Erlebnisse in der Kindheit nie zur Verfügung stand, könnte es sein, dass bereits Kinder sehr früh lernen, als Ersatz für eine Bindungsperson auf suchtartige Verhaltensweisen und Suchtmittel zurückzugreifen. Das Suchtmittel wird auf diese Weise zu einem Bindungsperson»Surrogat«. Meistens tritt nach dem Gebrauch des Suchtmittels eine kurzfristige, rasche Entspannung ein. Diese fühlt sich so ähnlich an, als wenn die Entspannung durch die emotionale Unterstützung der Bindungsperson erfahren worden wäre. Besteht aber der Stress weiter oder ist er chronisch, wird das Suchtmittelimmer öfter benutzt und es entsteht hieraus eine Abhängigkeit, die psychisch und körperlich sein kann. Ist erst einmal das Suchtmittel zur »besten Bindungsperson« geworden, wird die Therapie entsprechend schwierig; denn der Suchtabhängige wird seine »Sucht-Bindungsperson« nicht freiwillig aufgeben.
In dem vorliegenden Band werden von internationalen Forschern und Klinikern die Zusammenhänge zwischen Bindungssuche und Suchtverhalten sowie therapeutische und präventive Möglichkeiten vorgestellt und im Zusammenhang ihrer Studien erläutert.
Insbesondere auch die therapeutischen und die präventiven Möglichkeiten stehen in einzelnen Beiträgen im Vordergrund. Frühzeitige Interventionen – am besten bereits im Kindesalter – können neue Bindungserfahrungen ermöglichen und so suchtartiges Verhalten verändern und neue beziehungsorientierte Verhaltensweisen auf den Weg bringen.
Ich danke allen Autorinnen und Autoren, dass sie ihre Beiträge für die Publikation zur Verfügung gestellt haben. Ein besonderer Dank gilt Frau Ulrike Stopfel, die sehr engagiert – wie in den vergangenen Jahren – alle englischsprachigen Beiträge in hervorragender Qualität übersetzt hat. Dank der exzellenten Arbeit von Herrn Thomas Reichert konnten die einzelnen Manuskripte rasch editiert werden. Ein weiterer Dank gilt Herrn Dr. Heinz Beyer vom Verlag Klett-Cotta sowie Frau Christel Beck dafür, dass sie sich mit unermüdlichem Engagement für die Herausgabe dieses Buches beim Verlag Klett-Cotta eingesetzt bzw. die rasche Herstellung geleistet haben.
Ich hoffe, dass dieses Buch allen hilft, die im Rahmen von Therapie, Beratung, sozialer Arbeit sowie bei der Prävention von frühen Störungen tätig sind und die Menschen mit Suchterkrankungen und -erfahrungen – insbesondere Eltern und Kinder sowie Jugendliche – betreuen. Das Buch richtet sich daher auch an Psychotherapeuten, Paar- und Familientherapeuten, Psychiater, Kinder- und Jugendpsychiater, Psychologen und Sozialarbeiter, Pädagogen und Heilpädagogen, Seelsorger, aber auch an Geburtshelfer, Hebammen, Kinderärzte und Krankenschwestern sowie an Richter und Politiker.
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