Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
Vom Netzwerk:
Selbstkontrolle von Erregung.
    Da die meisten Babys drogenabhängiger und substituierter Müter zur Behandlung von Irritabilität, Tonus- oder Koordinations-Problemen in einem Frühförderzentrum vorgestellt werden, ergibt sich hier eine Chance zur Stärkung der Mutter-Kind-Dyade und zur Verbesserung der mütterlichen Feinfühligkeit, anstatt nur eine funktionelle Therapie anzubieten (vgl. Fries et al. 2005). Die Frühförderer sollten, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Drogenhilfe, darin geschult werden, die Situation der Mutter zu verstehen und ihr auf dem Weg zu kompetenter Elternschaft zur Seite zu stehen. Das hilft dem Baby mehr, alssich von den somatischen Auffälligkeiten »hypnotisieren« zu lassen und die möglicherweise schwierige Mutter als reines Hindernis für die Entwicklung des Kindes anzusehen.
    Eine Verbesserung der elterlichen Kompetenzen begünstigt auch Abstinenz: Das dopamingesteuerte Belohnungssystem wird bei gelingender Mutter-Kind-Interaktion aktiviert, und das Opioid als unbelebtes Substitut einer Bindungsfigur (Zimmer-Höfler & Kooyman 1996) wird schrittweise durch eine befriedigende Beziehung zum Kind ersetzt, vielleicht auch vermittelt durch die Erkenntnis: »Auf Droge bekomme ich schlechter Kontakt zum Kind, das fühlt sich nicht gut an!« (Zitat einer der untersuchten Mütter.)
    Als zukünftige Forschungsfrage bleibt: Wie genau muss ein Trainingsprogramm bzw. die helfende Beziehung beschaffen sein, damit der emotionale Gewinn der Elternschaft dauerhaft höher bleibt als der des Drogenkonsums?
    Ein Schlüssel dazu könnte in der besonderen Förderung von körperbezogenen Interaktionen zwischen Mutter und Kind liegen. Porter und Porter (2004) stellen aus der Sicht der Kinderkrankenpflege ein Interventionsprogramm für drogenabhängige und substituierte Mütter vor. In einem Gruppensetting werden die Mütter zur Durchführung einer Baby-Massage angeleitet, verbunden mit einem Feinfühligkeitstraining (IMPEP = Infant Massage-Parenting Enhancement Program). Es ist leicht ersichtlich, dass die intensive Berührung zu einer verstärkten Oxytocin-Ausschüttung bei sowohl der Mutter als auch dem Kind beiträgt, mit den bekannten Effekten in Bezug auf Angstminderung, emotionale Sicherheit, soziale Interaktionsbereitschaft und allgemeines Wohlbefinden (vgl. Uvnäs-Moberg 2011).
    Sabine Trautmann-Voigt (2011 a, b) betont die Bedeutung von Bewegungsmustern bei Diagnostik und Behandlung frühester Bindungsprobleme und legt ein psychomotorisch ausgerichtetes Therapiekonzept auf psychodynamischer Basis zur Stärkung von Feinfühligkeit und Selbstwirksamkeit vor. Auch ein solches Vorgehen hat sowohl hormonelle als auch emotional-interaktionelle Wirkung, indem es Stresserleben reduziert, neue Erlebensräume öffnet und zu einer befriedigenderen Beziehung zwischen Mutter und Kind beiträgt. Ein körpernaher Zugang fördert auch die Reifung reflexiver Funktionen bei den Müttern, auf deren Erforschung ebenfalls ein Augenmerk gerichtet werden sollte. Ergebnisse des stationären Interventionsprogramms von Pajulo et al. (2012) weisen darauf hin, dass die Verbesserung der reflexiven Funktionen bei dieser Behandlung im Vordergrund stand. Sie berichten, dass sich durch die bindungsorientierte Therapie die reflexive Funktion bei den Probandinnen signifikant erhöhte, wobei die Verbesserung von der mütterlichen Traumageschichte und dem gebrauchtenSuchtmittel abhing. Die Rückfalltendenz und die Rate notwendiger Fremdunterbringungen der Kinder waren mit der reflexiven Funktion korreliert.
    Suchman et al. (2010 a) stellten in einer Studie heraus, dass eine adäquate Fähigkeit zur Mentalisierung psychischer Zustände – und dadurch ein Verständnis für die auf Gedanken, Gefühlen und Wünschen basierenden Reaktionen von sich selbst und anderen – eng mit mütterlich-kontingentem Verhalten korreliert ist. Wichtiger als die »child-mentalization«, d. h. die Mentalisierung über die Wünsche, Absichten oder Emotionen des Kindes und ihren Einfluss auf die Mutter-Kind-Interaktion, war dabei die »self-mentalization« (also bezüglich eigener Wünsche, Absichten, Emotionen). Drogenabhängige und substituierte Mütter müssen danach erst lernen, mit ihren eigenen restriktiven oder negativen Affekten und Impulsen umzugehen, dann die Zustände ihres Kindes verstehen und einschätzen lernen, und erst dann benötigen sie Informationen und Begleitung bezüglich der kindlichen Entwicklung sowie

Weitere Kostenlose Bücher