Bindung und Sucht
großen Zahl von Helferinnen/Helfern und Bezugspersonen gegenüber. Im Laufe ihrer langen Leidenskarriere (früher sexueller Missbrauch, Aufenthalte in der Jugendpsychiatrie, Heroinabhängigkeit, Straßenstrich, Gefängnis) hat sie gelernt, dieses System für sich zu nutzen. Im Bemühen, die Entwicklung ihres Kindes zu fördern, dessen Geburt für sie mit großen Hoffnungen auf einen Neuanfang verknüpft war, berät sie sich mit vielen »Hilfs-Müttern«, die natürlich nicht immer die gleiche Meinung vertreten. Das verwirrt sie und versetzt sie in Spannung, verbunden mit der Gefahr, rückfällig zu werden. Dazu fühlt sie sich noch immer mit ihren alten Verletzungen (»Gespenster im Kinderzimmer«) konfrontiert. Die als ihre Case Managerin in der Drogenambulanz tätige Kinderkrankenschwester ist in der Lage, die Mutter-Kind-Dyade und nicht nur Mutter oder Kind als Betreuungseinheit zu sehen. Dank ihres beruhigenden und »wissenden« Einflusses gelingt es immer wieder, die Konflikte zu überwinden, welche sich aus der partikulären Sichtweise der Bezugspersonen ergeben, die sich als für das Kind oder die Mutter zuständig verstehen. Dazu gehört eine aufsuchende und praktisch begleitende Tätigkeit, welche die Mutter sowohl praktisch sozialarbeiterisch berät und unterstützt als auch Besuche in der Kinderklinik, Hausbesuche und eine sozialpädiatrische Sprechstunde zu allen Themen der frühen Mutter-Kind-Beziehung durchführt.
Abb. 2: Netzwerkarbeit: Skizze eines Fallbeispiels
Eine solche Begleitung der durch den Drogenkonsum der Mutter belasteten Mutter-Kind-Dyade ist meist über viele Jahre notwendig, sie wird in der Regel eine effektive präventive Wirkung für die Gesundheit und Entwicklung sowohl des Kindes wie auch der Mutter haben. Dabei setzt sich erst allmählich die Erkenntnis durch, dass nicht rein verhaltensbezogene Maßnahmen, sondern vorallem eine bindungsorientierte Begleitung der Mütter notwendig und sinnvoll ist (Suchman et al. 2004).
Qualifizierung
Auf institutioneller Ebene als beispielhaft und vorbildlich erscheint mir die »Kooperationsvereinbarung zwischen den an der Betreuung von drogenkonsumierenden Müttern/Vätern/Eltern und deren Kindern beteiligten Institutionen zur Koordinierung der Hilfen für diese Zielgruppen innerhalb der Stadt Essen«. Im Abschlussbericht des Modellprojekts »Ambulante Hilfen für drogenabhängige schwangere Frauen und Frauen mit Kindern« (= VIOLA; Landesfachstelle Frauen und Sucht NRW, Belladonna 2001) wird betont: Wenn die Frauen »einen Zugang zu einem Beratungsangebot bei VIOLA gefunden« hatten, habe die Schwangerschaft deutlich einen Zeitpunkt dargestellt, »in dem die Frauen für weitere psychosoziale Angebote in hohem Maße empfänglich waren« (S. 30). Das entspricht der sensiblen Phase der Neuorientierung in der Mutterschaftskonstellation und lässt hoffen. Wie so oft kommt es dabei nicht (nur) auf eine kostenintensive Personalaufstockung an, sondern insbesondere auch auf verbesserte Kenntnisse, etwas andere Einsatzgebiete und neue Haltungen bei bereits vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Begleitung ist, dass die Frühförderin bzw. Drogenberaterin/der Drogenberater eine »gestandene Persönlichkeit« ist, zudem eine fundierte Weiterbildung hat zum Erwerb des notwendigen Wissens und der praktischen Fertigkeiten für eine integrative suchttherapeutische Betreuung und eine bindungstheoretisch fundierte Entwicklungsförderung der Mutter-Kind-Dyade:
Neben den von M. Papoušek in München konzipierten und seit vielen Jahren erfolgreichen Curricula zur Eltern-Säuglings-Beratung und -Psychotherapie gibt es mittlerweile einige weitere Weiterbildungsmöglichkeiten.
Als prä- und postnatale primärpräventive Unterstützung ist das SAFE-Programm (Brisch 2007) bewährt und bereits gut evaluiert. Für die Klientinnen mit Drogenproblematik besonders bedeutsam ist dabei das Angebot einer individuellen Traumatherapie, um die transgenerationale Weitergabe von desorganisierten und suchtrelevanten Bindungsmustern zu durchbrechen.
Ein in den USA seit Jahren erfolgreich erprobtes und auch in Deutschland verbreitetes Programm ist STEEP (Steps towards effective and enjoyable parenting). Es setzt sich zum Ziel, hoch belastete Familien auf das Zusammensein mit ihrem Kind vorzubereiten und mit Hilfe von Videoaufnahmenvon Eltern-Kind-Interaktionen (»seeing is believing«) gelungenes, einfühlsames Verhalten zu erkennen und
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