Bindung und Sucht
vereinnahmenden und doch inkonsistenten Beziehungswünsche der Klientinnen und Klienten – häufig distanziertere Beziehungsverhältnisse als in der Frühförderung. In Bezug auf die jungen Mütter sollte die notwendige Abgrenzung so subtil erfolgen, dass trotzdem eine starke emotionale Beziehung gelebt werden kann und auch eine positive Übertragung möglich bleibt. Von der ständigen dynamischen Balancierung zwischen Nähebedürfnissen der Klientin und notwendigem professionellem Abstand hängt oft das Gelingen der helfenden Begleitung ab. Eine solche Arbeitsbeziehung ermöglicht als integrierende Suchthilfe die Arbeit an den zentralen Themen der Mutterschaftskonstellation und trägt den basalen Dimensionen der helfenden Beziehung Rechnung:
Bindung anbieten, auf der Basis analoger, emotionaler Kommunikation,
Halt geben im Sinne strukturgebender Kommunikation und affektiver Rahmung,
Lösungswege finden: für die Dyade entwicklungsfördernde Perspektiven einnehmen (vgl. Trost 2002).
Insbesondere das Konzept der »affektiven Rahmung« (Fivaz-Depeursinge & Corboz-Warnery 2001) erscheint mir für unseren Kontext als nützlich. Ziele affektiver Rahmungsprozesse sind z. B.:
Metastabilisierung eines instabilen Systems im Wandel: z. B. dabei helfen, Mutter und Kind mittels konstanter Beziehungs- und Betreuungsangebote durch Krisen zu navigieren;
anhaltende, langfristige, affektiv fundierte Kopplung des relativ instabilen Mutter-Kind-Systems mit einem rahmenden, konstanteren Helfer-System: »sichere Basis«;
Einbettung (»Umdeutung«) von nötigen »Fluktuationen« als Vorboten einer Entwicklung zur Reorganisation menschlicher Systeme.
Das »rahmende System« – sei es eine Einzelperson (Sozialarbeiterin/Sozialarbeiter, Therapeut/Therapeutin, Case Manager/Case Managerin) oder eine Institution bzw. ein Kooperationsverbund von Institutionen – muss gleichzeitig temporär stabiler und autonomer sein und sich auf kommunikative Angebote des gerahmten Systems einlassen. Sowohl das Baby als auch meistens die drogenabhängige Mutter erfüllen die Kriterien für instabile, gerahmte Systeme. Dementsprechend ist die Rolle der begleitenden Bezugsperson in der Tat die einer »guten Großmutter«, die durch eine affektive und strukturelle Unterstützung der Mutter zu deren und des Babys Stabilisierung und Entwicklung beiträgt, d. h. der Mutter selbst ermöglicht, eine rahmende Funktion für ihr Baby einzunehmen. Welter-Enderlin (Welter-Enderlin & Hildenbrand 1998) benennt in diesem Zusammenhang »Öffnen« und »Bergen« als therapeutische Kernkompetenzen.
Folgende praktischen Hinweise für die pädagogisch-therapeutische Begleitung sollten beachtet werden:
1.) Jede Mutter will eine gute Mutter sein! Kritik an mütterlichen Fähigkeiten kränkt und mobilisiert massive Abwehr!
2) Stärkung der mütterlichen Kompetenzen; nicht: der Helfende kann es besser! Vernachlässigte und/oder inadäquat behandelte Kinder reagieren meist sehr positiv auf kompetente Helferinnen bzw. Helfer und »entwerten« damit subjektiv die Mütter.
3.) Entlastung, nicht höhere Anforderung, sichere, fürsorgliche Umgebung.
4.) Stützende Anleitung und entwicklungspsychologische Beratung, im Sinne von »Baby-Lese-Stunden« (Ziegenhain et al. 2006).
5.) Wichtig ist aber auch: Konfrontation mit den Notwendigkeiten der Fürsorge gegenüber dem Baby.
6.) Wahrnehmen von und respektvoller Umgang mit der Scham der Mutter.
7.) Entwicklungsfördernde Maßnahmen für das Baby unter Einbeziehung der Mutter.
8.) Bei Überlastungszeichen: zeitweise andere Umgebung für das Kind (z. B. Krippe) finden.
9.) Psychotherapeutische Angebote an die Mutter: Feinfühligkeitstraining, Aktivierung der intuitiven Kompetenzen, Ich-Stabilisierung, Aufarbeitung der Lebensgeschichte, Traumatherapie.
10.) Subjekt früher Intervention ist nicht das Baby, sondern die Mutter-Kind-Dyade!
Netzwerkarbeit und Case Management
Um die Quote der entwicklungsförderlich miteinander lebenden Mutter-Kind-Dyaden zu erhöhen, ist daher eine interinstitutionelle und interdisziplinäre Vernetzung im Sinne eines »Comprehensive Care«-Konzeptes unter der Federführung einer Betreuungsperson als Case Managerin bzw. Case Manager notwendig und, wie die Wiener Studie (Berger et al. 2003) sowie bislang noch vereinzelte Praxiserfahrungen zeigen, auch aussichtsreich.
Hierzu ein Beispiel: Frau M., Mutter eines 5 Monate alten Mädchens (Jacqueline) und Teilnehmerin am Methadonprogramm, sieht sich einer
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