Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
blieb unausgesprochen. Jede Nacht kommt sie nach Hause, völlig erschöpft von dem, was Kannika ihr antut, und wenn sie dann schläft, träumt sie von einem Ort, wo die Neuen Menschen in Sicherheit wohnen können, ohne einen Patron.
Emiko kann sich noch gut daran erinnern, wie Mizumi-sensei im Kaizen -Studio zu den jungen Neuen Menschen sprach, die im Kimono vor ihr knieten und ihren Lehren lauschten.
»Was seid ihr?«
»Neue Menschen.«
»Worin besteht eure Aufgabe?«
»Wir leben, um zu dienen.«
»Wer ist euer Herr und Meister?«
»Unser Patron ist unser Herr und Meister.«
Mizumi-sensei war schnell mit der Rute bei der Hand, einhundert Jahre alt und furchterregend. Als eine der ersten Neuen Menschen war ihre Haut so gut wie gar nicht gealtert. Wer wusste schon, wie viele Zöglinge sie bereits in ihrem Studio unterwiesen hatte? Mizumi-sensei war allgegenwärtig, stand ihren Schützlingen mit Rat und Tat zur Seite. Ihr Zorn war grausam, doch sie blieb immer fair. Und ihr Glaube, dass die Neuen Menschen nur ihren Patronen treu dienen mussten, um einen höheren Daseinszustand zu erlangen, war unerschütterlich.
Mizumi-sensei machte sie alle mit den Lehren über Mizuko Jizo Bodhisattva bekannt, der sogar für die Neuen Menschen Barmherzigkeit empfand, und der sie nach ihrem Tod in seinem Ärmel verstecken würde, um sie aus dieser Höllenwelt der genmanipulierten Spielsachen herauszuschmuggeln und
sie dem wahren Zyklus des Lebens zuzuführen. Zu dienen, das war nicht nur Pflicht, sondern auch eine Ehre, und ihren Lohn würden sie im nächsten Leben erhalten, als wahre Menschen. Ihre Unterwürfigkeit würde die schönsten Früchte tragen.
Wie sehr Emiko Mizumi-sensei gehasst hatte, als Gendo-sama sie verlassen hatte!
Doch bei dem Gedanken, wieder einen Patron zu haben, schlägt ihr Herz schneller: ein weiser Mann, der sie bei der Hand nimmt und in eine andere Welt führt, der, anders als Gendo-sama, ihr alles gibt, was sie braucht.
Wieder ein Mann, der dich anlügt? Der dich verraten wird?
Sie wischt den Gedanken beiseite. Das ist die andere Emiko, die so denkt, nicht ihr höchstes Selbst. Als wäre sie nicht mehr als eine Cheshire, die nur darauf aus ist, sich den Bauch vollzuschlagen, die, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, welche Nische ihr zusteht, alles für sich in Anspruch nimmt. Das ist einem Neuen Menschen nicht angemessen!
Mizumi-sensei hatte sie gelehrt, dass die Natur eines Neuen Menschen in zwei Teile zerfällt. Die böse Hälfte wird vom animalischen Hunger der Gene beherrscht – von den zahlreichen Tricksereien der Genhacker, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind. Ausgeglichen wird dies von ihrem zivilisierten Selbst, das zwischen Nische und animalischen Begierden zu unterscheiden weiß. Das seinen Platz in der Hierarchie ihres Landes und ihres Volkes kennt und begreift, was ihr jeweiliger Patron für sie getan hat, indem er ihnen das Leben schenkte. Dunkel und Licht. In-Yo. Zwei Seiten derselben Münze, zwei Seiten derselben Seele. Mizumi-sensei hat ihnen geholfen, mit ihrer Seele ins Reine zu kommen, sie hat sie darauf vorbereitet, ehrenhafte Diener zu sein.
Ehrlich gesagt, denkt Emiko nur deshalb so schlecht von Gendo-sama, weil er sie so geringschätzig behandelt hat. Er
war ein schwacher Mann. Oder vielleicht war sie, wenn sie ehrlich ist, nicht alles, was sie hätte sein können. Sie hat sich ihm nicht bis zum Letzten unterworfen. Das ist die traurige Wahrheit. Mit dieser Schande muss sie leben, während sie sich alle Mühe gibt, ohne die liebende Hand eines Patrons auszukommen. Aber vielleicht hat dieser seltsame Gaijin … Sie wird nicht zulassen, dass ihre zynische, animalische Seite heute Abend die Oberhand gewinnt; sie wird sich ihren Träumen hingeben.
Emiko verlässt den Slum ihres Hochhauses und tritt in die kühle Abendluft Bangkoks hinaus. Auf den in grünes Licht getauchten Straßen herrscht eine ausgelassene Stimmung. In Woks werden Nudeln gebraten, damit die Bauern, die auf dem Markt ihre Erzeugnisse verkauft haben, noch eine einfache Mahlzeit zu sich nehmen können, bevor sie zu ihren fernen Feldern zurückkehren. Emiko schlendert über den Nachtmarkt; mit dem einen Auge hält sie nach Weißhemden Ausschau, mit dem anderen nach etwas zu essen.
Schließlich entdeckt sie einen Stand mit gegrillten Meeresfrüchten und entscheidet sich für Tintenfisch mit Chilisoße. Am Rande des Kerzenscheins fühlt sie sich einigermaßen sicher. Ihr Pha Sin verbirgt die
Weitere Kostenlose Bücher