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Bios

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Titel: Bios Kostenlos Bücher Online Lesen
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Augen fest geschlossen, denn mit offenen Augen wäre es keinen Deut heller gewesen und mit geschlossenen konnte sie sich einbilden, die Dunkelheit selbst herbeigeführt zu haben. Vielleicht aus Müdigkeit. Obwohl sie nicht schon wieder einschlafen durfte.
    Sie schnippte die Lampe an.
    Das war schon besser. Es war zwar nur der endlose Tunnel zu sehen, aber das Licht war ein Segen.
    Sie kroch ein paar Meter voran – es hätten auch zwanzig oder hundert sein können. Es gab keine Bezugsgrößen mehr, keine zeitlichen und keine räumlichen. Vielleicht hatte sie schon einen weiten Weg zurückgelegt, vielleicht war sie erst ein paar Schritt weit vom ursprünglichen blinden Stollenende entfernt.
    Unzulässig.
    Der Tunnel schien sich zu erweitern. Endlich tat sich etwas… Die Woge von Hoffnung war berauschend. Sie wappnete sich dagegen, doch Hoffnung war wie Panik, unbändig, eine gewaltige Kraft, die nicht länger von einem Thymostaten in Schach gehalten wurde.
    Der Thymostat, überlegte Zoe, war auch eine Art Membran gewesen – eine weitere Barriere zwischen ihr und der Welt. Eine Barriere gegen die Viren der Panik, der Hoffnung, der Liebe und der Verzweiflung. Diese Membran hatte sie eingebüßt. Sie war jetzt nackt und infiziert.
    Der Tunnel erweiterte sich immer mehr, wurde zu einer großen Höhle. Zoe füllte sie mit dem Geräusch ihres mühsamen Atmens. Sie hob die Hand und brachte das Licht zur Geltung. Hob den Blick und sah…
    … das Ende des Stollens.
    Dieser Hohlraum war lediglich größer als der erste.
     
    *
     
    Für ein paar kostbare Minuten ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Der Anzug würde sie schon recyceln – idiotischer Gedanke.
     
    *
     
    Stoßweise schluchzend kroch sie bis an die Stelle zurück, wo sich der Tunnel gabelte.
    Wie viele Lampen waren noch übrig? Auf ihr Gedächtnis war kein Verlass; sie war gezwungen anzuhalten und mit den Fingern nachzuzählen. Eins, zwei, drei, vier. Was bedeutete, dass Stunden vergangen waren, seit sie die ursprüngliche Kammer verlassen hatte. Mit ein bisschen Verstand und wenn sie nicht eine halbe Ewigkeit verschlafen hätte, hätte sie die Zeit vermutlich berechnen können.
    Sie brauchte einfach zu lange. Sackgassen kosteten Kraft und Zeit.
    Sie dachte ans Freie. Die Erinnerung war so lebhaft, dass sie die Luft schmecken konnte. Himmel, dachte Zoe. Ja, und Regen. Und Wind.
    Von vorne, wo die Abzweigung war, kamen schwache Geräusche. Hatte sie einen Ausgang verpasst? Geräusche von draußen? Sie musste vorsichtig sein. Sie zwang sich, ruhig durchzuatmen. Sie reckte den Kopf in den Nachbartunnel.
    Wo sie dem kühlen, schwarzen Blick eines Gräbers begegnete.
     
    *
     
    Sie ließ die Glühwürmchenlampe nicht los, selbst als der Gräber ihr nachsetzte und sie bei den Fesseln packte.
    Der Alte war es jedenfalls nicht. Der Name war absurd. Der Gräber war nicht mehr als ein Tier, vielleicht auf der Stufe von Insekten, lang und allzu geschmeidig in dieser engen Röhre; dünner, biegsamer Leib; riesige, kohlschwarze, schrecklich flinke Augen; Klauen, die zupackten wie gehärtete Stahlklammern. Wie hatte sie in diesen Kreaturen auch nur den schwächsten Abglanz von Menschlichkeit vermuten können? Sie waren brutal, nicht unbedingt böswillig; ihr Verstand arbeitete in fremden, nicht menschlichen Bahnen; was immer sie für Beweggründe hatten, sie würden ihr verschlossen bleiben; Gräber und Menschen lebten in verschiedenen Welten, buchstäblich wie sprichwörtlich.
    Der Gräber schleifte sie in einen anderen Blindstollen – nein, mein Gott, es war derselbe, aus dem sie geflohen war; der mit dem Gespinst an der Wand – und wälzte sie auf den Rücken.
    Sie hielt immer noch die Lampe fest. Ein winziger Funke Normalität. Er schien den Gräber nicht zu stören.
    Sie schloss die Augen, machte sie auf.
    Der Gräber rückte ihr bedrohlich nahe. Vermutlich betrachtete er sie, auch wenn seine Augen so leer waren wie zwei schwarze Ölblasen.
    Sie erwiderte den Blick. Unter ihrer Panik kam eine grimmige und gänzlich unerwartete Ruhe zum Vorschein, ein emotionaler Gleichmut, der aus Erleichterung und Angst bestand. Eine Art Vortod – denn so viel schien festzustehen: Sie sah dem Tod ins Auge.
    Der Gräber setzte ihr eine Kralle auf die Brust – genauer: auf ihr Brustbein.
    Sie spürte den Druck – es tat weh, so weh als müsse die Stelle gleich bluten.
    Dann begann der Gräber die Membran aufzuschlitzen und wie bleiche, abgestorbene Haut

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