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Birnbaeume bluehen weiß

Birnbaeume bluehen weiß

Titel: Birnbaeume bluehen weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Hände vom Baumstamm.

    Wir spielten es oft, früher. Wir haben es unser Leben lang gespielt. Gerson konnte es gar nicht abwarten, endlich richtig laufen zu können. Als wir fünf waren und mit dem Spiel anfingen, sahen wir ihn manchmal, bevor wir die Augen schlossen, weinend auf der breiten Fensterbank stehen. Mit seinen Klebehändchen rieb er die beschlagenen Fenster wieder blank. Wenn es windstill war, konnten wir sogar sein Gebrüll hören. So gerne wollte er bei uns sein. Bei seinen großen Brüdern, die die Augen fest zukniffen und dann mit ausgebreiteten Armen in ungefähr dieselbe Richtung torkelten.
    Es war kurz nach seinem vierten Geburtstag, als wir ihn zum ersten Mal mitspielen ließen. Damals und viele Male danach mogelten wir. Wenn wir die Augen zuhatten, sahen wir nämlich nicht, ob er in den Graben lief. Er konnte damals schon gut laufen und auch gut sprechen. Aber als er die Hände auf den Buchenstamm legte und die Augen schloss, sagte er nur ein einziges Wort. Wir verstanden ihn kaum.
    »Was hast du gesagt, Gerson?«, fragte Klaas, der schon mit dem Abzählen angefangen hatte.
    »Schwarz«, sagte Gerson. Sogar während wir redeten, machte er die Augen nicht auf. Er hatte sie so fest zugekniffen, dass seine Wangen fast seine Augenbrauen berührten und wir seine stumpfen Milchzähne deutlich sehen konnten. »Schwarz«, sagte er noch einmal. Er hatte dem Spiel einen Namen gegeben.
    Wir wurden nicht besser. Wir nicht und Gerson nicht. Egal, wie oft wir Schwarz spielten, auch nicht, als wir ein paarmal hintereinander dasselbe Ziel finden mussten. Es blieb schwierig. Selbst nach dem zehnten Mal ging man immer noch nicht blind auf die Regentonne zu. Es war jedes Mal anders. Das hatte, glauben wir, mit den Geräuschen zu tun. Jedes Mal waren andere Geräusche da. Viel Wind oder eine leichte Brise, ein vorbeifahrendes Auto, Vögel, vor allem die Reiher, die so laut aus den hohen Bäumen am Friedhof kreischen konnten, Pferde auf der anderen Seite des Grabens, die anfingen zu traben, sobald sie uns sahen. Oder das Wetter. Sonne, Nieselregen, Platzregen, Schnee, Hagel. Es war jeden Tag anders. Immer wenn wir Schwarz spielten, fingen wir sozusagen von vorne an. Als wenn die Zeit, die wir mit offenen Augen verbrachten, das Spiel störte.

Ferien
    Unser Vater hatte ein sehr altes, sehr kleines Auto. Früher hatten wir mal zwei Autos, das sehr alte, sehr kleine und ein großes glänzendes. Unsere Mutter war eines Tages in dem großen glänzenden weggefahren, und wir hatten beide nie wiedergesehen.
    »Sie ist im Ausland«, sagte unser Vater, der Gerard heißt. »Bei einem anderen Mann. Einem ausländischen Mann.« Wir waren alt genug, unseren Mund zu halten, aber Gerson, der dafür noch nicht alt genug war, fragte: »Warum?«
    Wir bekamen fünf Karten pro Jahr von ihr. Zu unseren Geburtstagen und zu Neujahr. Viel stand nicht darauf. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! oder Alles Gute im neuen Jahr! Wir schickten ihr nie eine Karte zurück, weil wir nicht wussten, wohin wir sie schicken sollten. »Warum wissen wir das nicht?«, wollte Gerson wissen. Gerard antwortete, dass sie uns ihre neue Adresse nie geschrieben hatte. Auf der ersten Karte und auf allen folgenden klebte eine italienische Briefmarke. Ausland war Italien, und ausländischer Mann war Italiener. Gerard hatte abendelang durch eine Lupe auf den Poststempel gestarrt, aber er konnte nicht lesen, was dort stand. Später hatte er es noch ein paarmal versucht, und letztendlich hatte er es aufgegeben. »Sie macht es absichtlich«, sagte er, »es ist wirklich jedes Mal unlesbar.«
    Während Gerard so lange starrte, bis ihm die Tränen kamen, saßen wir zu dritt über die Italienkarte im Atlas gebeugt. Kees zeigte auf Städte und Dörfer, undwenn sie nicht zu schwierig waren, las Gerson ihre Namen laut vor. »Ist sie da?«, fragte er bei Mailand. »Wohnt sie vielleicht in Rom?«, fragte er bei Rom. »Ist sie denn hier?«, fragte er bei Neapel. Kees’ Zeigefinger bewegte sich immer weiter gen Süden, und Klaas sagte immer wieder: »Das wissen wir nicht, Gerson.«
    »Aber sie muss doch irgendwo sein. Wo ist sie denn? Warum schreibt sie uns das nicht? Ist Italien ein schönes Land? Was sprechen die Leute da? Ist Mama zu Besuch bei jemandem? Wann kommt sie wieder?« Die Fragen hörten nur auf, wenn der Atlas zugeklappt wurde.

    Unser Hund heißt Daan. Er ist ein rauhaariger Jack-Russel-Terrier. Gerard hatte ihn gekauft. »Der passt gut hierher, so ein kluger

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