Birnbaeume bluehen weiß
man sich alles merken würde. Aber es gibt Tage, vor allem Tage, an denen Dinge passieren, die normalerweise nicht passieren, die man niemals vergessen wird. Das werden wichtige Tage, große Tage. Alles, was an so einem Tag passiert, bekommt eine besondere Bedeutung. Was genau ist geschehen? Wer sagte etwas, und was sagte er? Hätten wir etwas tun können, um es zu verhindern? Regnete es? Schien die Sonne? Alles, einfach alles wird furchtbar wichtig.
Obwohl wir ein gutes Gedächtnis haben, weil wir nun einmal zu zweit sind und zwei mehr wissen als einer, haben wir Schwierigkeiten, uns an die Einzelheiten dieses Tages zu erinnern. Gerard wird über früher erzählt haben. Über den Wald, der hinter seinem Elternhaus beginnt. Über den See, der gegenüber der kleinenWeide liegt. Über seine Streifzüge durch diesen Wald und die Schwimmpartien im See. Es waren Geschichten, die den Geschichten aus den Abenteuerbüchern ähnelten, die in seinem Zimmer lagen. Wir kannten den Wald und den See. Wir kannten seine Geschichten, weil sie seit eh und je die Einleitung zu einem Besuch bei Opa und Oma waren.
Was hat Gerson an diesem Sonntagmorgen alles gesagt? »Daan, nicht so wild«, sagte er, als Daan nicht nur die Nase, sondern die Hälfte seines Hundekörpers aus dem Fenster strecken wollte. »Wenn du aus dem Auto fällst, brichst du dir alle Pfoten.« Und natürlich machte er Bemerkungen über Gerards Fahrstil, wie immer. Er saß eigentlich immer wie eine Art Fahrlehrer neben Gerard. Er war auch derjenige, der dafür sorgte, dass wir von der Autobahn abfuhren. Darüber haben wir noch ein wenig gestritten. Wir wollten so schnell wie möglich bei Oma und Opa sein, Gerson wollte eine »Touristenroute« nehmen. »Die Birnbäume blühen«, sagte er. »Das ist schön.« Gerard stimmte ihm zu. Es stand also zwei gegen zwei, aber gerecht war das nicht, weil Gerard und Gerson uns manchmal als eine Person sahen und Gerard fuhr. Und darum mehr zu sagen hatte.
Und so kam es, dass vorne im Auto in zufriedener Stimmung blühende Birnbäume bewundert wurden, während wir uns die Bäume auch anschauten, aber eben nicht ganz so zufrieden.
»Woher weißt du eigentlich, dass es Birnbäume sind?«, fragte Klaas aus reiner Unzufriedenheit.
»Weil die Blüten weiß sind«, sagte Gerson.
»Ja und?«, sagte Kees.
»Birnen blühen weiß, Äpfel rosa.«
»Glaub ich nicht«, sagte Klaas.
»Ich auch nicht«, sagte Kees.
»Und doch ist es so«, sagte Gerson.
»Ist es nicht genau umgekehrt?«, fragte Gerard, der mehr auf die Bäume als auf die Straße achtete.
»Dann stehen hier also nur Birnbäume«, sagte Klaas. »Obstgärten voll mit Birnbäumen. Im Gemüseladen liegen aber immer viel mehr Äpfel als Birnen.«
»Schau nach vorn«, sagte Gerson zu Gerard. »Du fährst fast in den Graben.«
Wir wussten, es war ein völlig unwichtiges Gespräch gewesen. Es hätte sich genauso gut um etwas anderes handeln können. Aber das war nicht so. Wir redeten über Birnbäume. Um Gerson zu ärgern, fuhr Gerard absichtlich ein Stück auf den Grünstreifen auf der linken Straßenseite. »Ui«, rief er, »ich fahre fast in den Graben.«
Darüber mussten wir lachen, auch Gerson. Wir waren vier lachende Männer in einer alten Klapperkiste. Wir waren unterwegs. Die Sonne schien, es war Sonntagmorgen, alles war gut. Ein Stück weiter entfernt war eine Kreuzung. Wir lachten noch immer, als ein Auto in unser Auto fuhr. Das Auto kam von rechts und fuhr einfach so in Gerson. Wir können uns nicht an alles erinnern, wir wissen nicht mehr genau, was Gerson an diesem Morgen alles gesagt hatte. Aber das Letzte, was er sagte, war: »Au.«
Keiner hatte etwas gesehen, wir waren völlig unvorbereitet. Wir lachten, und ein paar Sekunden später waruns das Lachen gründlich vergangen. Gerson saß ganz normal gerade auf seinem Sitz. Die rechte Autotür hatte sich um ihn gefaltet. Ein Teil vom Dach, eine Eisenstange, war in mehrere Teile zerbrochen, und die Teile ruhten auf seinem Kopf. Oder vielleicht auch in seinem Kopf, das konnten wir vom Rücksitz aus nicht gut sehen. Wir wollten es auch nicht sehen. Das Armaturenbrett hatte sich nach hinten verschoben und drückte gegen seine Brust. Er war völlig eingeklemmt. Er schrie nicht, er weinte nicht. Er sagte ganz leise: »Au«, als hätte er sich durch seine eigene Schuld den großen Zeh gestoßen. Erst anderthalb Wochen später würde er wieder etwas sagen.
Kees, der auch auf der rechten Seite saß, brach sich den Arm.
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